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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Klampt bedachte das Kind mit einem wütenden Blick, zauberte dann aber ein Lächeln auf ihre Lippen. »Nehmen Sie … ach, als Hausgenossen können wir ruhig du zueinander sagen! Nimm ruhig noch ein wenig von den gefüllten Wachteln, liebste Lore. Sie schmecken äußerst delikat. Aber was mich interessiert: Du bist also die Enkelin eines Freiherrn von Trettin? Diesen Namen habe ich wirklich noch nie gehört, dabei gehört der Gotha zu meiner Lieblingslektüre.«
    Bevor Lore etwas erwidern konnte, machte Dorothea Simmern dem bösen Spiel ein Ende. »Du musst dich irren, liebste Ermingarde. Soviel ich gehört habe, war der Herr von Trettin jener gutaussehende Adelige, der dir in Berlin für kurze Zeit den Hof gemacht hat. Das war noch vor deiner Heirat mit Nathalias Großonkel. Du müsstest dich an ihn erinnern können!«
    »Ach ja, jetzt dämmert es mir! Er wollte mich heiraten, aber sein Stand und sein Vermögen entsprachen nicht meinen Vorstellungen.Ein richtiger Bauer, muss ich sagen. Und das ist also dein Großvater, liebste Lore.« Trotz der bissigen Bemerkung war es ein Rückzugsgefecht. Ermingarde Klampt schwieg von nun an eisern, und ihre Nachkommenschaft tat es ihr mit Leidensmienen gleich. Dennoch verlief der Rest des Abends nicht erfreulicher. Daher war Lore schließlich froh, als sie sich verabschieden konnte, um Nati ins Bett zu bringen.
    Zu ihrer Verwunderung stand Dorothea Simmern auf und begleitete sie. Im Obergeschoss blieb sie stehen und reichte Lore beide Hände.
    »Mach nicht so ein verbiestertes Gesicht, mein Kind!«, sagte sie lächelnd. »Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Ermingarde kann deiner Stellung nicht gefährlich werden, nicht nach dem heutigen Tag. Es war ein großer Fehler von ihr, vor Ablauf der Trauerzeit in diesem Haus ein Fest zu geben, auch wenn es sich um den Geburtstag ihres Sohnes handelte. Sie weiß, dass ich, wenn ich wollte, sie jetzt in Bremen gesellschaftlich unmöglich machen könnte. Sollte sie dich schlecht behandeln, bittest du die Wirtschafterin, die ich dir gleich vorstellen werde, einen Diener mit einer Nachricht zu mir zu schicken. Dann werde ich der Dame ordentlich den Kopf waschen und dafür Sorge tragen, dass sie dir jeden Wunsch von den Augen abliest. Versprichst du mir das?«
    »Ja, gewiss, ich …«, stammelte Lore, von Frau Simmerns Hilfsbereitschaft überwältigt.
    »Ich biete dir meine Hilfe nicht nur aus Dankbarkeit an, weil du meinem Mann das Leben gerettet hast oder weil ich dich für ein nettes Mädchen halte, sondern auch aus reinem Eigennutz. Bitte halte Nathalia davon ab, mir lebende Mäuse in die Unterröcke zu stecken oder Regenwürmer in meine Handtasche! Ich will nichts gegen das Kind sagen. Nathalia kann ein Engel sein, wenn sie will. Glaubt sie jedoch, man wolle sie ärgern, oder ist sie unglücklich,wird sie zur Teufelin. Und glaube mir, Ermingarde würde sie sehr unglücklich machen.«
    »He! Ihr redet über mich, als wenn ich nicht dabei wäre oder keine Ohren hätte«, beschwerte sich Nati.
    »Wir reden über dich, weil wir wollen, dass du glücklich und zufrieden aufwachsen sollst. Das möchtest du doch auch, oder nicht?« Mit dieser Frage setzte Dorothea den kleinen Plagegeist schachmatt, und sie vermochte sich wieder Lore zuzuwenden.
    »Kurz gesagt, ich wünsche, dass du dein Möglichstes tust, um aus Nathalia ein nettes Mädchen zu machen. Ich habe nichts dagegen, wenn sie Ermingardes unmöglicher Tochter Spinnen ins Haar setzt – aber das sollte sie bitte nicht bei offiziellen Anlässen tun!« Dorotheas Seufzen zeigte Lore, dass Nati das schon getan haben musste. Da sie mittlerweile wusste, wie viel Wert die bessere Gesellschaft auf Konventionen legte, würde dies, wenn es öfters geschah, Nati in einen schlechten Ruf bringen.
    »Ich werde mein Bestes tun«, antwortete Lore und fragte sich gleichzeitig, ob sie dieser Aufgabe überhaupt gewachsen war. Immerhin war sie selbst fast noch ein Kind. Dann aber sagte sie sich, dass Onkel Thomas sein Vertrauen in sie setzte, und ihn wollte sie unter keinen Umständen enttäuschen.

V.
     
    Nachdem Lore Nati ins Bett gebracht hatte, weinte die Kleine, weil ihre große Freundin nicht gleich bei ihr bleiben wollte, gab sich aber mit der Versicherung zufrieden, dass sie bald kommen und im zweiten Bett übernachten würde. Dann führte Dorothea Lore durch ein ganzes Gewirr von Korridoren und Treppen inden Raum, in dem die Dienerschaft auf den Ruf ihrer Herrschaft

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