Dezembersturm
anderes übrig, als ein Messer in ihren Korb zu legen und in den Wald zu gehen.
Nachdem Kord mit dem Kaninchenstall fertig war, wischte er sich die Hände an seiner Hose ab und betrat mit der Mütze in der Hand das Jagdhaus. Als er vorsichtig an die Tür des alten Herrn klopfte, erscholl ein brummiges »Hereinkommen!«.
Kord öffnete die Tür und blickte dann mit heimlichem Grausen auf den Mann, den er so lange Jahre hoch zu Ross an sich hatte vorbeireiten sehen. Seit jenem schrecklichen Tag schien den früheren Gutsherrn alle Kraft verlassen zu haben. Doch als er nun in die Augen des alten Mannes blickte, begriff er, dass zwar der Körper des Freiherrn gebrochen war, nicht aber sein Geist.
Wolfhard von Trettin ließ die Musterung seines einstigen Vorarbeiters mit einem grimmigen Lächeln über sich ergehen und hob dann gebieterisch die Hand. »Ich habe einen Auftrag für dich, Kord! Es darf aber niemand etwas davon erfahren, am wenigsten mein verfluchter Neffe auf Trettin. Hast du mich verstanden?«
Kord nickte und trat näher, um die Anweisungen seines ehemaligen Herrn entgegenzunehmen.
X.
Ein paar Tage später war die alte Lederbörse leer, in der Lore ihr Haushaltsgeld aufbewahrt hatte, und sie entschloss sich, Fridolins Taler hineinzulegen. Zwar hatte sie ihrem jüngeren Onkel versprechen müssen, dieses Geld nur für sich auszugeben, doch dieNot zwang sie zu diesem Schritt. In dem Moment rief ihr Großvater sie mit zorniger Stimme in sein Zimmer. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob der alte Herr durch Wände blicken konnte, und lief so eilig hinüber, dass sie Börse und Münze noch in der Hand hielt.
Wolfhard von Trettin wusste trotz Lores Bemühen, ihn mit diesen schlechten Nachrichten zu verschonen, wie es um ihre Finanzen stand, und beäugte die Münze mit scheelem Blick. »Wo hast du die her?«
Lore senkte bedrückt den Kopf. »Onkel Fridolin hat sie mir gegeben. Er meinte, ich sollte mir etwas dafür kaufen, aber ich brauche das Geld dringend für Lebensmittel.«
»Wenn der Taler dir gehört, dann behältst du ihn auch. Es wäre ja noch schöner, wenn ein Freiherr von Trettin sich von seiner eigenen Enkelin aushalten lassen müsste. Gib es her, ich bewahre es für dich auf.« Bevor Lore reagieren konnte, griff er mit der gesunden Rechten zu und wand ihr die Münze aus der Hand.
»Aber Großvater, unsere Vorräte gehen zu Ende. Ich brauche das Geld, um einkaufen zu gehen.« Lore rannen die Tränen aus den Augen, doch der alte Herr blieb unerbittlich. »Wenn wir nichts mehr haben, dann such im Wald Pilze und Beeren. Die gibt es umsonst.«
Lore wollte entgegnen, dass sie ohne Eier und Butter kein Pilzomelette zubereiten konnte, doch sein Blick ängstigte sie zu sehr, als dass sie zu widersprechen wagte. Daher schlich sie mit hängendem Kopf aus dem Zimmer und suchte ihren Korb. Eigentlich hätte Elsie Holz für den Winter hacken sollen, doch das Dienstmädchen war wieder einmal verschwunden. Lore blickte auf den noch recht bescheidenen Holzstapel an der Wand und seufzte. Hier in der Nähe des Frischen Haffs wehten im Winter Eiswinde über das flache Land. Daher benötigten sie dringend Brennmaterial, und wenn Elsie die Arbeit nicht tat, würde sie auch diese selbst erledigenmüssen. Von diesem Gedanken angetrieben, eilte sie in den Wald und suchte eilig nach essbaren Pilzen und Beeren.
Als sie zum Jagdhaus zurückkehrte, war Elsie noch immer nicht wieder aufgetaucht. Niedergeschlagen stellte sie ihre Ausbeute in der Küche ab und begann, die von Kord zurechtgeschnittenen Holzklötze mit der schweren Axt zu spalten. Während dieser Arbeit rief der Großvater mehrmals nach ihr. Einmal war ihm das Kissen zu hart, und beim zweiten Mal musste sie ihm die Bettpfanne unterschieben.
An diesem Tag sank sie todmüde ins Bett und schlief so tief, dass selbst ein Kanonenschuss sie nicht hätte wecken können, und am nächsten Morgen stand sie wie erschlagen auf. Nun spürte sie deutlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Als Elsie wie immer viel zu spät beim Jagdhaus erschien, befahl sie ihr, sich um den alten Herrn zu kümmern, und machte sich auf den Weg zum Gutshof. Dabei ekelte sie sich vor sich selbst. Nichts hätte sie lieber getan, als Ottokar von Trettin ihre Verachtung ins Gesicht zu schleudern. Stattdessen würde sie ihn anflehen müssen, wenigstens einen Teil des Geldes zu zahlen, zu dem er im Gerichtsurteil verpflichtet worden war. Im Vergleich zu den Einnahmen des Gutes stellte die
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