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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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bewahrheiteten sich nicht. Als sie ihm beichtete, dass Miene ihr etwas zu essen zugesteckt hatte, brummte er zwar ungehalten, aber es interessierte ihn nicht weiter.
    Für Lore aber enthielt das Geschenk etwas, das mindestens ebenso wertvoll war wie die Dinge, mit denen sie den Magen füllen konnte. Die Lebensmittel waren einzeln in Zeitungspapier eingeschlagen, das nur an wenigen Stellen unleserlich geworden war. Daher stach ihr beim Auspacken eine Anzeige in die Augen. Eine Madame de Lepin beehrte sich darin, die Eröffnung ihres Modesalons in Heiligenbeil anzukündigen, und suchte eine Seite weiter in einer weitaus kleineren Anzeige nach einer geschickten Näherin. Lore war überzeugt, recht gut mit Nadel und Faden umgehen zu können, und überlegte, ob sie die Dame aufsuchen sollte. Vielleicht war es die Gelegenheit, doch ein wenig Geld zu verdienen. So wie bisher konnte es jedenfalls nicht weitergehen.
    Am nächsten Tag beauftragte sie Elsie, sich um den alten Herrn zu kümmern, und machte sich auf den Weg. In einer alten Tasche steckte eine Bluse aus hellem Stoff, an der sie noch vor dem Unglück gearbeitet hatte, wenn ihr Großvater Mittagsschlaf hielt. Damals war es nur eine Beschäftigung gewesen, mit der sie sich in stillen Stunden die Langeweile vertrieben hatte, aber nun war sie froh, dieses Teil noch zu besitzen, auch wenn sie es während der Trauerzeit nicht tragen durfte. Sie hoffte, mit diesem Beispiel ihrer Fingerfertigkeit Madame de Lepin dazu bewegen zu können, ihr Aufträge zu erteilen. Allerdings würde sie nicht im Modesalon, sondern nur zu Hause nähen können. Da viele Modegeschäfte die Dienste von Heimarbeiterinnen in Anspruch nahmen, ging sie davon aus, dass Madame de Lepin es ähnlich halten würde.
    Im Dorf fand sie niemanden, der mit seinem Fuhrwerk in die Stadt oder wenigstens bis Bladiau fahren wollte und sie hätte mitnehmen können, und so ging sie zu Fuß weiter. Zu ihrem Glück bog nach wenigen Kilometern ein Gemüsekarren von einer Seitenstraße auf die Landstraße ein. Der Lenker sah sie und zügelte die Pferde.
    »Na, Jungfer, willst du mitfahren?«, fragte er und rückte ein wenig zur Seite, damit sie Platz fand.
    »Danke! Das wäre mir sehr recht.« Erleichtert kletterte Lore auf den Karren und sah sich sofort der Neugier des Mannes ausgesetzt. Er hatte gesehen, dass sie aus Richtung Trettin kam, und fragte sie nach dem neuen Gutsherrn aus. Die Art und Weise, in der er selbst über Ottokar sprach, zeigte Lore, dass es dem Neffen ihres Großvaters gelungen war, sich bei den Gutsbesitzern ringsum lieb Kind zu machen. Außerdem schien ihr Onkel den alten Herrn überall verleumdet zu haben, denn ihr Begleiter schimpfte über den alten Freiherrn und behauptete, dieser sei noch schlimmer als der Düwel. Obwohl sich der Dialektausdruck gemütlicher anhörte als das schriftdeutsche Teufel, kochte Lore innerlich. Ihr Großvater hatte wahrlich nicht verdient, derart geschmäht zu werden.
    »Ich glaube, dieser Ausdruck trifft eher auf den neuen Herrn auf Trettin zu! Immerhin hat dieser sich nicht gescheut, seinem Onkel mit Hilfe von Winkeladvokaten das Gut wegzunehmen«, fuhr sie dem Mann in die Parade.
    Der aber winkte ab. »Der alte Trettin hat das Gut ja verlottern lassen, dass es zum Erbarmen war, und dann auch noch Geld auf die Seite geschafft, das eigentlich seinem Neffen gehörte.«
    Nur die Tatsache, dass sie den restlichen Weg würde zu Fuß gehen müssen, wenn sie sich mit dem Mann stritt, ließ Lore ihre Zunge im Zaum halten. Daher hüllte sie sich für den Rest der Fahrt in Schweigen. Als sie am Marktplatz von Heiligenbeil abstieg, fiel ihrDankeschön knapp und kühl aus, denn sie war froh, diesen unangenehmen Kerl losgeworden zu sein. Nachdem sie vor Ärger ein paar Minuten ziellos herumgelaufen war, fragte sie Passanten nach dem Salon der Madame de Lepin.
    Eine ältere Frau wies ihr den Weg zur Mauerstraße, in der sich die Schneiderin eingerichtet hatte, und so stand sie kurze Zeit später vor einem düsteren Gebäude mit kleinen Fenstern, bei dem nur ein Schild neben dem Eingang darauf hinwies, dass hier ein Modesalon heimisch war. Lore schluckte, um ihren vor Aufregung trockenen Gaumen zu befeuchten, und trat mit starkem Herzklopfen in den Flur. Eine knarzende Holztreppe führte in den ersten Stock, in dem Madame de Lepins Geschäft zu finden war. Der Eingang wurde durch ein kleines Flurfenster erhellt, und sie sah erneut die Aufschrift des Modesalons vor sich. Mit

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