Dezembersturm
Vielleicht, sagte Ottokar sich, hatten Kord und Miene ihn sogar gesehen und waren Zeugen seines Mordes gewesen.
Verärgert, weil er seinen Kopf schon wieder mit diesen Gedanken belastete, schlug er den Türklopfer an. Es dauerte eine Weile, bis eine ältere Frau in einem schlichten Kittelkleid öffnete und mit schräg gehaltenem Kopf zu dem ungewöhnlichen Besucher aufblickte.
»Was wollen Sie?«
Ein wenig mehr Freundlichkeit würde nicht schaden, dachte Ottokar von Trettin, bemühte sich aber dennoch, verbindlich zu bleiben. »Ich möchte Herrn Fridolin von Trettin sprechen.«
»Zu dem wollen Sie? Da hätten Sie sich den Weg sparen können. Der ist schon vor Weihnachten fort und hat nicht einmal seine letzten zwei Monatsmieten bezahlt. Wenn Sie ihn sehen, können Sie ihm ausrichten, ich hätte die Sachen, die er zurückgelassen hat, auf den Speicher geschafft. Er kann sie wiederhaben, sobald er seine Schulden bei mir bezahlt hat. Oder sind Sie gekommen, das Zeug zu holen?« Ein Funken Hoffnung glomm in den Augen der Frau auf.
Dieser erstarb sofort wieder, als Ottokar von Trettin den Kopf schüttelte. »Nein, ich … werde wohl jetzt wieder gehen.«
Er nickte der Alten kurz zu, drehte sich um und schritt eilig davon. Seine Gedanken überschlugen sich. Wie es aussah, war sein Vetter kurz nach der Beerdigung ihres Onkels verschwunden. Für einen Augenblick vermutete er, es könnte mit Lore zusammenhängen. Dann aber schob er diesen Gedanken weit von sich. In dem Fall würde Lore nicht als Gesellschafterin einer jungen Komtessin Bremen leben. Wahrscheinlich waren Fridolins Gläubiger zu aufdringlich geworden, und der junge Mann hatte keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als schnellstens Fersengeld zu geben. Ottokar von Trettin schnaubte vor Verachtung für seinen jüngeren Vetter und nannte sich selbst einen sentimentalen Narren, weil er diesen hatte aufsuchen wollen. Mit einer herrischen Bewegung winkte er eine Droschke zu sich, stieg ein und befahl dem Kutscher, ihn in die Straße zu bringen, in der sich Hede Pfefferkorns Freudenhaus befand.
Dort bezahlte er den Mann und klopfte an die Tür. Diesmal wurde ihm sofort aufgemacht. Ein älterer Mann, der in einer Art Uniform steckte, musterte ihn und grüßte dann freundlich.
Hedes Türsteher Anton erkannte in Ottokar von Trettin einen Landadeligen, der in der Stadt etwas erleben wollte, und bat ihn herein. Der neue Gast reichte ihm Stock, Mantel und Hut und betrat anschließend das große Empfangszimmer. Dort schäkerten bereits mehrere schneidige Off ziere mit den jungen Frauen. Im Hintergrund unterhielt sich ein alter Mann mit Ziegenbart mit einem von Hedes besonderen Schützlingen. Das Mädchen sah jung genug aus, um die strenge Kleidung einer Internatsschülerin zu tragen, und kicherte auch so albern wie ein Backfisch. Mehrere Herren in ziviler Kleidung saßen auf weichen Plüschsesseln, ein Glas Wein in der Hand, und rauchten Zigarren, während die Mädchen, die sich um sie versammelt hatten, artig warteten, bis die Wahl auf sie fiel.
Der rote Plüsch, der das Zimmer beherrschte, etliche Bilder freizügig gekleideter Frauen, die griechische Göttinnen darstellen sollten, der betörende Duft der Parfüms und die knappen Kostüme der Frauen, die mehr enthüllten als verbargen, entfachten in Ottokar von Trettin eine ungewohnte Leidenschaft, und er leckte sich die Lippen im Vorgefühl der Wonnen, die er hier zu erleben hoffte.
Zunächst aber sah er sich einer jungen Frau gegenüber, deren züchtiges, streng wirkendes Kleid sich stark von den Gewändern der auf Kunden wartenden Mädchen unterschied. Hede Pfefferkorn liebte es, gediegen aufzutreten, damit jeder sofort begriff, wer hier die Chefin war. Im Gegensatz zu ihrem Türsteher erkannte sie Ottokar sofort, obwohl dieser ihr Bordell nur ein Mal in Fridolins Begleitung aufgesucht hatte.
»Guten Abend, Herr von Trettin. Ich freue mich, Sie zu sehen! Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?« Hede lächelte freundlich, so wie sie es bei jedem wohlhabenden Kunden tat, der über ihre Schwelle trat. Gleichzeitig winkte sie einem ihrer Mädchen, zwei volle Weingläser zu bringen. Eines davon reichte sie an den Gutsherrn weiter.
»Auf Ihr Wohl!«, sagte sie, und stieß mit ihm an.
Ottokar trank und schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Der Wein ist gut!«
»Ich lasse nur die besten Sorten kommen – und auch nur die besten Mädchen.« Hede wies stolz auf ihre Untergebenen, die auf Ottokar ebenso jung wie
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