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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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seinen einstigen Kutscher, den er erschossen zu haben glaubte und dessen Leichnam nie gefunden worden war. Der Mann bewegte sich langsam und hustete dabei immer wieder. Als es zu schlimm wurde, zog Florin ein Tuch aus der Tasche und wischte sich über den Mund. Er warf einen Blick auf das Tuch, das nun rot gesprenkelt war.
    »Das verdanke ich dir, Ottokar von Trettin! Aber diese Rechnung werde ich noch eintreiben.«
    Florin zuckte unter dem heiseren Klang der eigenen Stimme zusammen. Gleichzeitig griff er sich an die Brust, die wieder zu schmerzen begann. Die Schussverletzungen waren noch lange nicht ausgeheilt, und der Mann wusste, dass er niemals mehr ganz gesund werden würde. Er blieb am Waldrand stehen und beobachtete das Gutshaus, bis sich im Osten die ersten Schatten derDämmerung über das Land legten. Dann machte er kehrt und wanderte quer durch den Wald zu der Forststraße, die zum ehemaligen Jagdhaus des alten Herrn von Trettin führte.
    Die Dunkelheit hatte ihren Mantel längst über das Land gelegt, und als er sein Ziel erreichte, öffnete ihm die alte Miene kopfschüttelnd die Tür. »Dass es dir nicht zu viel wird, immer wieder zum Gut zu laufen! Irgendwann wird Ottokar von Trettin deinen Spuren folgen und dich hier finden.«
    Florin winkte ab. »Da gebe ich schon acht. Ich mache auch keine neuen Spuren, sondern benütze die, die von den Gutsleuten stammen.«
    »Du solltest es trotzdem nicht mehr tun«, warf Kord ein. »Es tut dir nicht gut, hier nicht und da auch nicht!« Der alte Mann wies zuerst auf die Brust, deren Narben immer noch schmerzen, und dann auf den Kopf.
    Der Kutscher lachte bitter auf. »Ottokar von Trettin wird für alles bezahlen, sowohl für die Toten vom Lehrerhaus wie für den alten Herrn und auch für das hier!«
    »Du sollst dich nicht über Gott erheben. Er wird ihn bestrafen«, mahnte Miene.
    Florin schüttelte mit verkniffener Miene den Kopf. »Gottes Wege sind unergründlich! Weshalb hat er dafür gesorgt, dass ich Ottokar von Trettins Schüsse überlebt habe, wenn nicht, um mir diese Aufgabe zu übertragen?«
    »Du lebst, weil das Pulver in den alten Patronen nicht stark genug war, dich zu töten«, antwortete Kord tadelnd.
    Florin trat an den Herd, nahm einen Schöpfer und goss heißes Wasser in einen Becher, den er dann mit Kords starkem Wacholderschnaps auffüllte. »Die Kugeln hatten nicht die Kraft, mich umzubringen. Doch der Grünspan, der an den Patronenhülsen klebte, hat mich vergiftet. Ihr habt den Doktor gehört! Nur bei einem Aufenthalt in einem milden Klima, wie es in Italien herrscht,könnte meine Lunge heilen. Doch eine Reise nach Italien ist etwas für feine Herrschaften, nicht für einen alten Knecht wie mich. Ich werde Italien niemals sehen, sondern hier sterben. Doch ich schwöre, dass ich diesen Weg nicht allein gehen werde.«
    Florins Worte waren ein Todesurteil für Ottokar von Trettin. Daher waren Kord und Miene froh, als sie am nächsten Tag erfuhren, dass Ottokar von Trettin sich auf eine längere Reise begeben habe und die Zeit seiner Rückkehr unbestimmt sei. Sie hofften, Florin in der Zwischenzeit überzeugen zu können, seinen Wunsch nach Rache aufzugeben, und wollten Doktor Mütze bitten, ihm ebenfalls ins Gewissen zu reden. Dessen Wort galt bei dem früheren Kutscher doch etwas mehr als das ihre.

XII.
     
    Die Straße, in der Fridolin nun wohnte, wirkte noch verkommener als die, in der Ottokar von Trettin ihn beim letzten Mal angetroffen hatte. Daher zögerte er, auf die Tür des Hauses zuzugehen und zu klopfen. Doch der Wunsch, sich von seinem Vetter in das »Le Plaisir« führen zu lassen, war stärker als seine Bedenken. Er war bereit, Fridolin ein paar Taler zu geben, wenn dieser mit ihm ins Bordell ging, und er wollte ihm sogar das Geld für eines der Mädchen spendieren. Dann würde ihm die eigene Sünde etwas leichter vorkommen.
    Der Gedanke, ein sündiger Mensch zu sein, war ihm bislang noch nie gekommen. Selbst nach dem Feuertod seiner Cousine hatte er sich damit herausgeredet, dass er nur den Heuschober hatte verbrennen wollen. Doch seit er auf Florin geschossen hatte, spürte er so etwas wie ein Gewissen. Diesen Mann hatte er absichtlichgetötet, und in schlaflosen Nächten sann er darüber nach, wohin der tote Körper des Kutschers verschwunden sein könnte. Eine Möglichkeit war, dass Raubtiere ihn verschleppt oder gefressen hatten. Allerdings konnten auch die Bewohner des Jagdhauses ihn gefunden und heimlich begraben haben.

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