Dezembersturm
verhört, und sie hat sich mehrfach widersprochen. Trotzdem wundert es mich, dass dieser Trettin nichts von sich hören lässt. Elsies Worten zufolge soll er bereits zu Lebzeiten seines Onkels versucht haben, das Verfügungsrecht über das Mädchen zu erlangen.« Ermingarde Klampt tröstete sich mit einem kräftigen Schluck aus ihrem Weinglas und verschluckte sich, als es in dem Moment an die Tür klopfte und ein Diener eintrat.
»Freiherr Ottokar von Trettin auf Trettin wünscht den Damen seine Aufwartung zu machen.«
»Endlich!«, jubelte Armgard auf.
Ihr Bruder klopfte seiner verzweifelt nach Luft schnappenden Mutter auf den Rücken. »Geht es?«, fragte er, nachdem Ermingarde wieder zu Atem gekommen war.
Diese nickte und wandte sich dann dem Diener zu. »Worauf wartest du noch? Führe den Herrn herein!«
»Sehr wohl, gnädige Frau!« Der Diener verbeugte sich und fragte sich dabei, wie der schmucke Herr Fridolin zu einem so bäuerisch aussehenden Verwandten gekommen war. Während er das Zimmer verließ, um den Besucher hereinzubitten, strich Ermingarde ihr Kleid glatt und setzte sich so, dass sie möglichst hoheitsvoll wirkte.
Als Ottokar von Trettin eintrat und ihre Blicke sich trafen, wusste sie sofort, dass ein Verbündeter erschienen war. Sie begrüßte ihn freundlich, bot ihm einen Stuhl an und erklärte dann dem wartenden Lakaien, dass er gehen könne.
»Halt«, rief sie, als der Mann bereits die Tür hinter sich schließen wollte. »Sende eine Nachricht an Herrn Simmern, dass ich ihn und seine Frau um sechs Uhr heute Abend hier in meinem Salon erwarte. Fräulein Lore soll um diese Zeit ebenfalls kommen. Und nun geh!«
»Ich werde es veranlassen, gnädige Frau!« Der Diener verneigte sich und schloss dann leise die Tür hinter sich.
Ermingarde atmete tief durch und schenkte dann dem Gast eigenhändig ein Glas mit ihrem Lieblingswein ein. »Auf Ihr Wohl, Herr von Trettin!«, sagte sie dabei voll heimlicher Vorfreude auf die dummen Gesichter, die Thomas Simmern und seine Frau bald machen würden.
XIV.
Ermingardes Einladung kam Thomas Simmern reichlich ungelegen, denn er musste einen Geschäftstermin verschieben, um ihr folgen zu können. Am liebsten hätte er sie abgelehnt, doch eine Nachricht von Konrad, die der Bote gleichzeitig überbracht hatte, kündigte Ärger an.
»Wir hätten die gesamte Sippschaft aus Natis Haus werfen und die Kleine zu uns nehmen sollen«, erklärte er seiner Frau, während er die Schreiben auf den Tisch warf.
Dorothea nahm das Blatt mit Konrads Neuigkeiten an sich. »Ottokar von Trettin? Das ist doch Fridolins Vetter.«
»Und Lores Vormund«, erwiderte ihr Mann grollend. »Ich mache mir Vorwürfe, das Mädchen wieder nach Deutschland zurückgebracht zu haben. In England wäre sie vor diesem Mann in Sicherheit gewesen.«
»Mein Lieber, du vergisst Lores Alter. Sie hätte niemals allein in England leben können. Was diesen Vormund betrifft, so werden wir uns anhören, was er zu sagen hat. Würdest du so lieb sein und Fridolin bitten, uns zu begleiten.«
Thomas Simmern entging das feine Lächeln auf den Lippen seiner Frau nicht, und ihn beschlich nicht zum ersten Mal der Verdacht, Dorothea wäre gar nicht so schwach und hilflos, wie es oft den Anschein hatte. Aber er wurde auch diesmal nicht schlau aus ihr. Obwohl er größeren Ärger wie eine Gewitterwand am Horizont auftauchen sah, tat sie völlig unbekümmert und fragte ihn sogar noch, welches von den Kleidern, die sie ihm nannte, für ein Treffen mit einem ostpreußischen Gutsherrn angemessen sei.
»Nimm irgendeines. Ich glaube nicht, dass so ein Krautjunker weiß, was in diesem Jahr gerade in Mode ist!« Thomas Simmern gab sich keine Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen, doch um dieLippen seiner Frau schwebte immer noch dieses ominöse Lächeln.
Dorotheas gute Laune hielt auch dann noch an, als sie Punkt achtzehn Uhr vor dem Palais Retzmann aus der Kutsche stieg und an der Hand ihres Mannes die Freitreppe zum Eingang hochtrippelte, während Fridolin ihnen mit einer Miene folgte, als würde er seinen Vetter am liebsten eigenhändig erwürgen.
Konrad erwartete sie bereits an der Tür, und sein Gesicht verriet, dass auch er bereit war, einen Mord zu begehen. »Der Kerl wird seine Pfoten von Lore lassen, Käpt’n, sonst lernt er uns kennen«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Hast du herausgebracht, was der Mann wirklich will?«, fragte Thomas Simmern.
Konrad schüttelte den Kopf. »Er hat sich zu Frau
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