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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Klampt in den Westflügel führen lassen und dort auch zu Mittag gegessen. Von anderen Bediensteten habe ich nur gehört, dass er und die Klampt-Sippschaft äußerst zufrieden gewirkt hätten.«
    »Das lässt nichts Gutes erwarten. Weiß Lore schon von dem Besuch?«
    »Nein, denn sie ist mit Nati ausgefahren und gerade erst zurückgekehrt.«
    »Dann wird es eine unschöne Überraschung für sie werden. Jetzt sollten wir hinübergehen, sonst trifft sie noch vor uns auf den unerwünschten Gast.«
    Thomas Simmern stieg mit schwerem Herzen die Treppe hoch und wandte sich dem Westflügel zu. Von der anderen Seite sah er Lore und Nati kommen. Beide wirkten nervös und schienen krampfhaft bemüht, Haltung zu bewahren. Also hatte die Dienerschaft sie bereits informiert, welch unliebsamer Besucher im Hause war.
    Lore eilte auf Onkel Thomas zu und fasste seine Hand. »Was soll ich machen?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
    »Contenance wahren!«, antwortete Dorothea an seiner statt und forderte Konrad auf, sie anzumelden.
    Kaum hatte die Tür den Blick in das Innere des Salons freigegeben, wurde den Eintretenden klar, dass Ermingarde Klampt die Situation zu zelebrieren gedachte.
    Umgeben von ihrer Nachkommenschaft, saß sie auf der rechten Seite des Zimmers. Ihr gegenüber hatte Ottokar von Trettin Platz genommen und sah aus wie ein Kater, der eben eine volle Sahneschüssel ausgeleckt hatte.
    »Da bist du ja, du ungezogenes Ding«, begrüßte er Lore, während er Dorothea, deren Mann und Fridolin geflissentlich übersah.
    Lore blieb bei der Tür stehen und verkrampfte die Finger ineinander, ohne etwas darauf zu antworten.
    »Wären Sie vielleicht so freundlich, uns diesem Herrn vorzustellen, liebste Ermingarde«, flötete Dorothea.
    »Das«, rief die Witwe in theatralischem Tonfall, »ist Freiherr Ottokar von Trettin auf Trettin, der Vormund dieses Mädchens, das Ihr Mann als Gouvernante unseres Lieblings Nathalia eingestellt hat. Sie ist von zu Hause ausgerissen!«
    Wenn Ermingarde Klampt erwartet hatte, Dorothea würde bei dieser Enthüllung in Ohnmacht fallen, sah sie sich getäuscht. Thomas Simmerns Frau lächelte freundlich, als sie Antwort gab. »Das, meine Liebe, ist nicht ganz richtig. Lore wurde von ihrem Groß-vater auf die Reise geschickt. Nach unserem Wissensstand weilte Wolfhard von Trettin noch unter den Lebenden, als die
Deutschland
in Bremerhaven ablegte, und als er starb, hatte das Schiff bereits die deutschen Hoheitsgewässer verlassen. Da Fräulein Lore durch den Diebstahl, den ihre Zofe begangen hatte, mittellos war, hat Graf Retzmann, ein Freund ihres Großvaters, sich ihrer angenommen und ihr Nathalia anvertraut. Mein Mann hat die Verpflichtung, für Lore zu sorgen, von seinem väterlichen Freund übernommen. Wir hatten gehofft, auch den Freiherrn von Trettinauf Trettin zufriedenstellen zu können, indem wir ihm die Sorge für eine mittellose Angehörige von den Schultern nahmen.«
    »Was heißt hier mittellos?«, polterte Ottokar von Trettin los.
    »Lore hatte sehr viel Geld bei sich! Das gehört dem Gut. Ich will es wiederhaben.«
    »Wenn Lore Geld bei sich hatte, dann ist es leider bei Kentish Knock untergegangen. Es steht Ihnen frei, das Wrack der
Deutschland
zu suchen und zu heben, um an dieses Geld zu kommen.« Thomas Simmern hatte die elegante Verteidigungsrede seiner Frau so verblüsfft, dass er tief Luft holen musste, bevor auch er sich in das Gespräch einmischte. Er spürte die Geldgier des Gutsherrn und beschloss, Lores kleines Vermögen vor ihm in Sicherheit zu bringen.
    »Sie muss aber Geld haben!«, polterte Ottokar von Trettin los.
    »Womit sollte sie sich sonst den Modesalon einrichten, wie sie es geplant hat?«
    »Mit der Belohnung, die Graf Retzmann ihr für die Rettung seiner Enkelin versprochen hat und die mein Mann ihr getreulich auszahlen wird«, erläuterte Dorothea im leichten Plauderton.
    »Ich will dieses Geld haben!«
    »Laut dem letzten Willen des Grafen erhält Lore es an dem Tag, an dem sie volljährig wird.« Dorothea schien die Wut und das schlechte Benehmen des Besuchers gar nicht wahrzunehmen, sondern tat so, als befände sie sich in einer vornehmen Konversationsrunde. Damit verblüffte sie nicht nur ihren Mann, sondern auch Lore, Konrad und besonders Nati, die Ermingarde und deren Gast mit bitterbösen Blicken bedachte.
    Lore stand bleich an der Wand und war einer Ohnmacht nahe. Ihre Gedanken wirbelten, und sie machte sich den Vorwurf, dass sie über Nati und deren

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