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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sich vor Malwine in Acht nehmen müssen, doch an Heimlichkeiten war sie gewöhnt. Wenn sie es geschickt anfing und Ottokar von Trettin so zufriedenstellte, wie er es sich wünschte,konnte sie ihm genug Geld aus den Taschen ziehen, um in ein oder zwei Jahren ein neues Leben zu beginnen. In Gedanken spottete sie über die Männer, die sich nicht mit ihrer angetrauten Ehefrau begnügten, sondern sich im Bett Dinge wünschten, die eine anständige Frau nur als ekelhaft bezeichnen konnte. Ihr verlieh die Bereitschaft, auf Trettins absonderliche Wünsche einzugehen, eine Macht über ihn, die sich in Zukunft ganz gewiss auszahlen würde.
    Ottokar von Trettin ahnte nichts von den Gedanken der Magd, sondern genoss die Blicke, die ihnen in Heiligenbeil folgten. Spätestens am nächsten Tag würde jeder im Landkreis wissen, dass er seine Pflicht erfüllt und sein Mündel zurückgeholt hatte. Also würde Malwine mit ihm zufrieden sein, auch wenn er keine Nachrichten über den Verbleib des Geldes brachte, das sein Onkel beiseitegeschafft hatte. Gab es dieses Geld noch, würden sie es irgendwann erfahren und es sich holen. War es, wie Thomas Simmern behauptet hatte, mit der
Deutschland
untergegangen, mochte dies zwar bedauerlich sein, würde ihren Triumph über Lore und deren Großvater jedoch nicht schmälern.
    Auch Lore machte sich ihre Gedanken, während die Kutsche auf der teilweise noch von Schneematsch bedeckten Landstraße heimwärts fuhr. Ihr ganzes Leben hatte sie in dieser Gegend verbracht und den Landkreis vor einem guten Vierteljahr zum ersten Mal verlassen.
    Dennoch erschien ihr alles so fremd, als sei sie jahrelang fort gewesen. Sie fragte sich, wie es dazu hatte kommen können, dass ihr England und Bremen auf einmal vertrauter zu sein schienen als das Land ihrer Kindheit. Sie übersah sogar die Einmündung der Forststraße, die zum Jagdhaus führte, und starrte überrascht auf das Dorf, an dessen Rand ihr Elternhaus gestanden hatte. Dort kündeten noch einige Mauerreste und verkohlte Balken von dem Feuer, in dem sie ihre Familie verloren hatte. Lore schlug das Kreuzund sprach ein Gebet für ihre Eltern und Geschwister, in das sie ihren Großvater mit einschloss.
    Die Dorfkirche, zu der sie früher staunend aufgeschaut hatte, wirkte nun klein und unbedeutend, und das Pfarrhaus glich einer besseren Bauernkate. Ottokar von Trettin ließ davor anhalten und rief den Pastor heraus.
    »Guten Tag, Pastor! Wie Sie sehen, habe ich die Enkelin meines Onkels gefunden und hierhergebracht, um sie vor den Gefahren der Großstadt zu bewahren, denen so ein junges Ding ausgesetzt ist«, erklärte er stolz.
    »Dem Herrn im Himmel sei Dank! Wenn Sie erlauben, Herr von Trettin, werde ich ab morgen regelmäßig zum Gut kommen, um ihr Mündel wieder dem richtigen Glauben zuzuführen.«
    Sie reden über mich, als wäre ich irgendein Gegenstand und kein lebender Mensch, dachte Lore und blickte starr vor sich hin, ohne den Pfarrer auch nur eines Blickes oder gar eines Grußes zu würdigen.
    Ottokar von Trettin ließ die Kutsche wieder anfahren und winkte dabei den Dorfbewohnern zu, die neugierig aus ihren Katen getreten waren, denn sie alle sollten wissen, dass er Lore zurückgebracht hatte. Er bedauerte es, dass die Jahreszeit es ihm unmöglich machte, ein offenes Gefährt zu benutzen, dann hätte jedermann das Mädchen sehen können. So blieb ihm nur, dem Kutscher zu befehlen, langsam zu fahren, damit die Leute durch die offenen Fenster in die Kutsche spähen konnten. Kurz vor dem Gutshaus wanderte sein Blick in den Wald, und er spottete über sich selbst, weil er dort wieder einen Schatten zu sehen geglaubt hatte. Nun war er froh, dem Rat seiner Frau gefolgt und nach Bremen gereist zu sein. Seit jener erregenden Nacht in dem Berliner Bordell quälten ihn keine schlechten Träume mehr, und die Geister der Toten, die ihn verfolgt hatten, schienen sich davongemacht zu haben.

II.
     
    Malwine von Trettin erwartete ihren Mann und den eingefangenen Flüchtling auf der großen Freitreppe des Gutshauses. Als die Kutsche vorfuhr und sie einen Blick durch das offene Fenster im Schlag werfen konnte, lächelte sie triumphierend und machte ein paar Schritte auf den Wagen zu.
    Der Gutsherr verließ die Kutsche, griff dann nach innen und zerrte Lore heraus. Elsie folgte ihr auf dem Fuß, doch Malwine beachtete die Magd gar nicht, sondern blieb vor Lore stehen und blickte sie höhnisch an. »Da ist ja unsere Ausreißerin!«, sagte sie und schlug ohne

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