Dezembersturm
Vorwarnung zu.
Lore nahm die Ohrfeige mit einem kaum merklichen Zusammenzucken hin, genau wie die zweite, die Malwine ihr auf die andere Wange setzte.
»So, damit das ein für alle Mal klar ist!«, erklärte die Gutsherrin.
»Komm mit! Ich zeige dir dein Zimmer. Die Fenster sind vergittert, und die Tür wird zugesperrt, wenn du dich darin befindest. Wir wollen doch nicht, dass du noch einmal davonläufst.« Dann packte sie Lore mit einem harten Griff am Oberarm und schob sie ins Haus.
Es zwickte Lore in den Fingern, der unverschämten Frau zu sagen, was sie von ihr hielt. Damit aber hätte sie nur weitere Ohrfeigen riskiert und sich dann gewiss zur Wehr gesetzt. Sie erinnerte sich an das, was über Malwine erzählt wurde, und begriff, dass die Frau sie ebenso wie ihre Dienstmägde mit dem Stock verprügeln würde, bis sie nicht mehr ohne Schmerzen sitzen oder liegen konnte. Daher ließ sie sich in eine kleine Kammer unter dem Dach stoßen, in der sich außer einem einfachen Bett, einem Gestell für die Waschschüssel und einem Stuhl nur noch ein kleiner Tisch mit einem Nähkästchen befand.
»Das ist jetzt dein Zimmer. Du wirst es nur mit meiner Erlaubnis verlassen!«
Lore ahnte, dass es Malwine vor allem darum ging, ihre Macht über sie auszukosten. Zu anderen Zeiten hätten die Drohungen sie geängstigt, doch sie vertraute Konrads Findigkeit und Fridolins Mut. Hier würde sie nicht lange bleiben müssen.
»Dir hat es wohl die Sprache verschlagen, was?« Malwine ärgerte sich, weil sie keine Antwort erhielt, und hob erneut die Hand zum Schlag.
Als Lore sich duckte, lachte sie und wies dann auf das Nähkästchen. »Das wird deine Beschäftigung in den nächsten Wochen sein. Ich benötige eine neue Sommergarderobe. Also hurtig ans Werk! Ich werde dir gleich die Schnittzeichnungen bringen, die ich aus Berlin habe kommen lassen.«
Malwines höhnische Worte erinnerten Lore an die beschämende Szene in Madame de Lepins Modesalon. Damals hatte sie geschworen, niemals für ihre angeheiratete Tante zu nähen. Sie wusste nicht, wie lange Fridolin und Konrad brauchen würden, um sie zu befreien, und sie wollte nicht erleben müssen, dass Malwine sich mit einem von ihr gearbeiteten Kleidungsstück brüsten konnte. Daher wandte sich mit einem verächtlichen Blick zu ihr um. »Ich werde nicht für dich nähen, Malwine. Du kannst mir befehlen, Feuerholz zu holen, Ställe auszumisten oder in der Küche Rüben zu schälen. All das werde ich machen. Aber du wirst mich nicht dazu bringen, auch nur einen Nadelstich für dich zu tun!«
»So? Das werden wir ja sehen! Zunächst einmal bleibst du hier drinnen. Zu essen bekommst du erst wieder, wenn du bereit bist, genau das zu tun, was ich will. Hast du mich verstanden?« Malwine nahm Lores Sträuben nicht ernst. Zwei, drei verweigerte Mahlzeiten, und das Mädchen würde klein beigeben. Mit dieser Vorstellung verließ sie die Kammer und schob draußen den Riegel vor.
Ihr Mann erwartete sie auf dem Flur. »Ist es nötig, Lore so schroff zu behandeln?«, fragte er. »Die Nachbarn werden gewiss darüber reden, und dann kommen wir noch mehr in Verruf.«
Um Malwines Mundwinkel huschte ein überlegenes Lächeln. »Mein Guter, in spätestens einem Jahr werden die meisten ringsum vergessen haben, dass es je eine Lore Huppach gegeben hat, und wir werden bei allen so angesehen sein, wie es den Gutsherren von Trettin gebührt.«
Ottokar war nicht davon überzeugt, fühlte sich aber nicht in der Lage, stärker auf seine Frau einzuwirken, als er es bereits getan hatte. »Du musst wissen, was du tust«, sagte er nur und wollte wieder gehen. Da fiel ihm ein, dass er seiner Frau noch etwas beichten musste.
»Ich habe das Dienstmädchen mitgebracht, das damals für meinen Onkel gearbeitet und sich dann mit Lore auf die Reise gemacht hat. Sie war früher eine gute Zofe, bis sie durch einen unglücklichen Umstand gezwungen wurde, die Arbeit einer schlechtbezahlten Magd zu tun. Ich glaube, sie könnte deiner Zofe noch einiges beibringen, denn sie hat früher für eine Gräfin gearbeitet und ist mit dieser kreuz und quer durch Europa gereist.«
»Ich werde mir das Weibsstück ansehen«, versprach Malwine und behielt ihren Mann dabei scharf im Auge, denn er wirkte so, als drücke ihn das Gewissen.
Das nährte ihr Misstrauen gegenüber der neuen Magd, und sie erinnerte sich an Gerüchte, die Elsie in keinem guten Licht erscheinen ließen. Sie hätte das Frauenzimmer nicht in ihre Dienste
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