Dezembersturm
Aufgeld.«
»Das Kleid ist für Frau von Trettin? Das haben Sie mir gar nicht gesagt!« Lore war empört, denn für die Ehefrau ihres Feindes Otto kar hätte sie nicht bis tief in die Nacht hinein genäht. Dann aber dachte sie an den Taler, der ihr dafür versprochen worden war, und sagte sich, dass sie sich keine Empfindlichkeiten leisten konnte. Deswegen würde sie bleiben und warten, ob Madame de Lepin sie noch brauchte, auch wenn sie dadurch zu spät zum Religionsunterricht kam, den Hochwürden Starzig für sie und einige jüngere Mädchen abhielt.
Die Schneiderin wunderte sich über Lores Verärgerung und versuchte, sie zu beschwichtigen. »Habe ich wirklich vergessen zu sagen, dass dieses Kleid für Frau von Trettin ist? Die Freifrau ist meine wichtigste Kundin! Wenn die anderen Damen sehen, dass sie meine Kleider trägt, werden sie alle zu mir kommen, und ichkann höhere Preise verlangen! Das musst du noch lernen, wenn du eine gute Couturière werden willst, mein Kind. Nur wenn es dir gelingt, die tonangebenden Damen des Ortes für dich zu gewinnen, hast du auch Aussicht auf Erfolg. Sonst schuftest du dich für nichts und wieder nichts zu Tode und kommst doch auf keinen grünen Zweig. Ich glaube, ich höre die Dame kommen! Ja, schau, ihr Zweispänner biegt bereits in die Straße ein.«
Während Madame de Lepin vor Nervosität gar nicht mehr zu reden aufhörte, spürte Lore den schier unwiderstehlichen Drang, davonzulaufen, nur um Malwine nicht begegnen zu müssen. Da sie jedoch kein Geld verlieren wollte, straffte sie die Schultern und half Madame de Lepin, das Kleid über eine Schneiderpuppe zu drapieren.
IV.
Kurze Zeit später rauschte Malwine von Trettin in das Atelier, ohne die Verkäuferin zu beachten, die sie noch ein paar Minuten im Vorraum hätte aufhalten sollen. Bei Lores Anblick stieß sie einen spitzen Schrei aus und wandte sich mit einem anklagenden Blick der Schneiderin zu.
»Frau Lepin! Sie haben doch nicht etwa diesen schmutzigen Dorftrampel da an mein Kleid gelassen! Wenn der Stoff verdorben ist, mache ich Sie haftbar! Sie werden mir jede Elle ersetzen, und dann werde ich mich nach einer neuen Schneiderin umsehen, das kann ich Ihnen flüstern!«
Malwine war jedoch weit davon entfernt, zu flüstern, sondern bediente sich einer wenig damenhaften Lautstärke, so dass die Kundinnen draußen im Verkaufsraum jedes Wort hörten. DieSchneiderin krümmte sich unter ihren Worten, doch anstatt Lores Mitarbeit kurzerhand abzustreiten, begann sie, deren Talent zu preisen. Das hielt Malwine von Trettin nicht davon ab, jede Handbreit Stoff gründlich zu kontrollieren und die Arbeit in Grund und Boden zu kritisieren.
Lore entging nicht das Glitzern in den Augen ihrer angeheirateten Tante. Obwohl die Arbeit fehlerlos war, handelte Malwine den Preis des Kleides herunter wie eine Krämerin und verlangte eine völlig überflüssige Änderung. Dann bedachte sie Lore mit einem ebenso boshaften wie triumphierenden Blick und stemmte die Arme in die Seiten. »Damit eines klar ist, Frau Lepin: Sie werden diesen Trampel hier nicht weiter beschäftigen. Höre ich, dass Sie es heimlich tun, werde ich all meinen Freundinnen empfehlen, mit mir gemeinsam zu einem anderen Modesalon zu wechseln!«
Während die Schneiderin wie erschlagen vor der streitbaren Freifrau stand und kein Wort herausbrachte, begriff Lore, dass Malwine jeden ihrer Pläne, auf eigenen Beinen zu stehen, zu durchkreuzen suchen würde. Ihre angeheiratete Tante setzte alles daran, ihre Fähigkeiten umsonst und ganz exklusiv für sich allein zu bekommen.
Die Freifrau ließ das Kleid einpacken, nörgelte aber auch dabei herum, bis Madame de Lepin Kleid und Papier aus den Händen ihrer verängstigen Angestellten nahm und es selbst erledigte.
»Hier, gnädige Frau! Ich bin sicher, Sie werden mit dem Kleid zufrieden sein«, erklärte sie zuletzt, nachdem sie Luise aufgetragen hatte, das Paket zu Malwines Wagen zu bringen.
»Zufrieden werde ich erst dann sein, wenn Sie das tun, was ich Ihnen aufgetragen habe. Also beherzigen Sie meine Warnung und werfen Sie diesen Dorftrampel endlich zur Tür hinaus!« Mit diesem Abschiedsgruß drehte Malwine sich um, ohne ihre schadenfrohe Miene zu verbergen, und ließ Lore wütend und die Schneiderin niedergeschmettert zurück.
Madame de Lepin hatte nicht nur einen herben finanziellen Verlust erlitten, sondern sah sich dazu noch gezwungen, auf eine so geschickte Näherin wie Lore zu verzichten. Mit einem tiefen
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