Dezembersturm
gar in Elbing ein kleines Ladengeschäft einrichten.«
»Dann kann es nicht wenig sein.« Gustav war beeindruckt und rückte noch ein wenig näher an Elsie heran.
»Musst du wirklich bis nach Amerika fahren? Da hast du es hier in Deutschland doch weitaus leichter. Denke darüber nach! Fast jedes zweite Schiff, das über den Atlantik fährt, geht verloren, und drüben in Amerika hausen Wilde, die jeden, der ihnen über den Weg läuft, umbringen und skalpieren.«
»Was ist denn das?«, fragte Elsie erschrocken.
Gustav fuhr mit seinem rechten Zeigefinger einmal um den Kopf und machte dann eine Bewegung, als wolle er an seinem Schopf ziehen. »Diese Wilden reißen dir die Kopfhaut bei lebendigem Leib ab und hängen sie als Trophäe in ihren Hütten auf, so wie die hohen Herren hier es mit Elch- und Hirschköpfen machen. Diese Indianer sind schlimm, sage ich dir! Die überfallen sogar die Städte und bringen alle Leute darin um.«
»Tut denn die Armee nichts dagegen?«, wunderte Elsie sich.
»Die Armee? Ha!« Gustav schüttelte den Kopf. »Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass ein Häuptling dieser Wilden namens Red Cloud mit seinen Leuten eine ganze Armee unter General Carrington fast bis auf den letzten Mann aufgerieben hat. Wenn nicht einmal ein General mit diesen Wilden fertig wird …« Der junge Mann ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Doch damit ängstigte er Elsie umso mehr, deren Phantasie ihr die übelsten Dinge vorgaukelte.
»Ich will nicht nach Amerika«, wimmerte sie.
»Das musst du auch nicht. Bleib doch bei mir! Weißt du, ich wollte schon lange meinen Dienst bei Wagner aufgeben. Erstens zahlt er schlecht, und zum anderen habe ich keine Aussichten, in seiner Firma weiter aufzusteigen, denn auf die wichtigen Posten setzt der Alte seine Söhne.«
»Aber ich habe versprochen, Lore nach Amerika zu bringen«, wandte Elsie ein.
»Ist sie erst einmal auf dem Schiff, kümmert sich der Kapitän um sie, und drüben erwarten sie doch die Franziskanerinnen, wie du mir erklärt hast. Warum sollst du also mitfahren? Denk doch nur daran, was wir beide mit dem Geld anfangen können. Du weißt doch, dass du mir bereits bei dem Fest in Pörschken gefallen hast. Doch da hast du mich einfach abblitzen lassen.«
»Aber nur, weil du nichts anderes im Sinn gehabt hast, als mit mir in dem kleinen Wäldchen hinter dem Festplatz zu verschwinden.Für eine so kurze Liebschaft bin ich mir zu schade!« Elsie klang ein wenig abweisend, doch Gustav gelang es mit schmeichelnden Worten, ihr klarzumachen, dass ihr damaliger Eindruck falsch gewesen sei und er sich die ganze Zeit nichts lieber gewünscht habe, als mit ihr ein neues Leben anzufangen.
Gustav war Elsie auf der Fahrt schon wie ein rettender Fels erschienen, und sie hatte bedauert, sich in Bremerhaven von ihm trennen zu müssen. Zudem sah er mit seinem kecken Schnurrbart ausgesprochen gut aus und war offensichtlich weltgewandt. Daher verspürte sie den Wunsch, sich an ihn zu klammern und nie mehr loszulassen.
»Ich werde es mir überlegen«, sagte sie gedehnt.
In Gustavs Augen war dies so viel wie ein Ja. Er zog sie an sich und wollte sie küssen. Im selben Augenblick hörte er, wie sich von draußen Schritte näherten. Die Wirtsmagd kam herein und fragte, ob noch etwas benötigt werde oder ob sie jetzt abräumen könne.
»Bring die leeren Teller hinaus und füll die Weingläser noch einmal nach. Danach werden wir wohl zu Bett gehen«, antwortete Gustav.
»Zeit wird es!« Die Magd nahm das Geschirr, verschwand damit und kehrte nach einer Weile mit zwei vollen Gläsern zurück. »Der Wirt verlangt, dass du jetzt zahlst! Du bist der letzte Gast und solltest ebenfalls verschwinden.«
»Lass mich nur noch austrinken!«
Da die Wirtsmagd wie ein mahnendes Gewissen neben ihm stehen blieb, ging Gustav hinüber in die Gaststube. Der Wirt stand noch hinter dem Schanktisch, während ein Knecht die Tische abräumte. Die Magd, die Gustav gefolgt war, begann diese mit einem Lappen abzuwischen.
Gustav beglich die Zeche, steckte der Magd eine Münze als Trinkgeld zu und kehrte zu Elsie zurück. Diese hatte inzwischen daszweite Glas Wein zur Hälfte geleert und fühlte sich wie in Watte gepackt. »Ich würde gerne noch länger mit dir reden. Aber hier geht es nicht. Wie wäre es oben bei dir auf deinem Zimmer?«, fragte Gustav sie.
Elsie schüttelte den Kopf. »Dort schläft Lore! Wir sollten sie nicht aufwecken.«
Die Anwesenheit einer dritten Person, mochte diese
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