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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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im Augenblick auch schlafen, war nicht nach Gustavs Geschmack. Außerdem würde er Probleme haben, das Gasthaus zu verlassen, nachdem der Wirt und dessen Gesinde zu Bett gegangen waren. Daher nahm er Elsies Hände in die seinen und sah ihr ernst in die Augen.
    »Dann machen wir es anders. Du gehst jetzt in dein Zimmer. In ein paar Minuten machst du das Fenster auf und kletterst ins Freie. Ich werde dort auf dich warten. Wenn wir das Fenster mit einem Hölzchen festklemmen, sieht es so aus, als wäre es fest verschlossen, und du kannst auf diesem Weg wieder zurückkehren.«
    Elsie sah ihn unsicher an. »Aber wird Lore denn nicht sehen, dass das Fenster nicht verriegelt ist?«
    »Jetzt, mitten in der Nacht? Wenn wir leise sind und es richtig machen, merkt sie gar nichts.«
    Obwohl sie im Grunde ihres Herzens bereit war, Gustav zu folgen, brachte Elsie einen weiteren Einwand. »Aber wo sollen wir in dieser Kälte hingehen?«
    »In Wagners Stall ist es schön warm, und dort wird uns auch keiner stören!«
    Elsie hatte schon begriffen, dass es nicht beim Reden bleiben würde, aber die Hoffnung, mit Gustavs Hilfe der Fahrt nach Amerika entgehen zu können, überwog alle Bedenken. Außerdem sah er beinahe so gut aus wie Fridolin von Trettin, und mit dem hätte sie sich gerne für ein Stündchen in die Einsamkeit zurückgezogen. Daher nickte sie und trank aus.
    »Dann auf Wiedersehen, Gustav. Bis morgen früh!«, sagte sie so laut, dass die Magd und auch der Wirt im anderen Zimmer es hören mussten, und ging mit lauten Schritten zur Treppe, die ins erste Geschoss führte.

VIII.
     
    Als Elsie das Zimmer betrat, erschrak sie, weil Lore sich im Bett herumwarf. Doch als sie genauer hinsah, stellte sie fest, dass ihre Mitbewohnerin nur unruhig schlief und sie nicht bemerkt hatte. Mit einem erleichterten Seufzer trat sie ans Fenster und öffnete es. Es klemmte stark, aber das war ihr nur recht. Nun benötigte sie kein Hilfsmittel, um es von außen zuzuhalten.
    Ein Schwall kalter Luft wehte ihr entgegen, und für einen Augenblick verließ sie der Mut. Dann sah sie im Schein einer Gaslampe, die vor der Schmiede stand, Gustav herbeischlendern. Kurz entschlossen setzte sie sich auf die Fensterbank und schwang ihre Beine nach draußen. Jetzt galt es nur noch hinabzuspringen, ohne sich weh zu tun. Dafür erschien ihr die Entfernung bis zum Boden zu groß. Als Gustav auf sie zutrat und ihr die Arme entgegenstreckte, fasste sie Mut und ließ sich so weit sinken, dass er ihre Beine festhalten konnte. Dann zog sie das Fenster zu und bat ihn flüsternd, sie auf den Boden zu stellen.
    Er setzte sie vorsichtig ab, hielt sie aber fest und näherte den Mund ihrem Ohr. »Ich freue mich, dass du gekommen bist, denn ich fürchtete schon, du würdest dich nicht trauen.«
    »Für dich wage ich alles!«, antwortete Elsie und presste sich an ihn. Dann liefen sie Hand in Hand die verschneite Straße entlang zu dem ausgedehnten Anwesen des Fuhrunternehmers Wagner.Ein paar Hunde schlugen an, krochen aber rasch wieder in ihre Hütten zurück, als sich die beiden nächtlichen Spaziergänger wieder entfernten.
    Wagners Wachhunde kannten Gustav und gaben nur ein paar leise Töne von sich, als er das Hoftor und kurz darauf die Tür des Pferdestalls öffnete. Obwohl es innen so dunkel war, dass Elsie die Hand nicht vor Augen sehen konnte, führte er sie zielsicher zu einer Leiter, die nach oben auf den Heustock führte.
    »Steig hoch, aber halt dich gut fest«, sagte er, als er ihre Hände auf die Leitersprossen legte.
    »Es ist zu dunkel hier«, wandte sie ängstlich ein.
    »Dann bemerkt uns auch niemand. Komm jetzt! Du schaffst das schon! Ich bin doch bei dir!«
    Elsie atmete tief ein und begann zu klettern. Ihr Begleiter kam direkt hinter ihr her und dirigierte sie mit leisen Zurufen. Hier im Stall kannte Gustav sich aus und fand selbst in finsterster Nacht seinen Weg. Schließlich war Elsie nicht das erste Mädchen, das er überredet hatte, mit ihm zu kommen. Aber diesmal war es anders, denn Elsie besaß etwas, das den anderen gefehlt hatte, nämlich Geld.
    Einen Augenblick lang meinte Gustav die blanken Taler, die schon bald ihm gehören sollten, direkt vor sich zu sehen. Er stieg hinter Elsie auf den Heustock, half ihr, auf dem weichen Untergrund ein Stück weiter nach hinten zu klettern, und schloss sie dann fest in die Arme. »Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe«, flüsterte er, ließ seine Hände an ihrem Rücken nach unten

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