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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Lore ihm entgegeneilte und ihn bitten wollte, leiser zu sein, brüllte ihr Großvater, dass der Kerl sich gefälligst beeilen solle. Lore begleitete den jungen Mann in das Krankenzimmer und sah, dass Gustav Elsie mit einem lauernden Blick musterte. Dabei wirkte Elsie einen Augenblick lang wie eine Ertrinkende, die nach einem Strohhalm suchte.
    Gustav bemerkte Elsies Mienenspiel ebenfalls, blieb neben ihr stehen und strich ihr über den Arm. »Warum denn so verzweifelt? Du und Lore, ihr habt doch mich an eurer Seite.«
    »Aber nur bis Heiligenbeil!« Elsie begann zu heulen.
    Gustav lachte. »Nicht nur! Mein Patron hat mich beauftragt, eine Warenlieferung aus Übersee in Bremerhaven in Empfang zu nehmen und hierherzubringen.«
    Während Elsie aufatmete, zog Lore die Stirn kraus. Obwohl sie es nicht hätte begründen können, gefiel ihr der Gedanke nicht, bis Bremerhaven auf den jungen Mann angewiesen zu sein. Man hatte ihr einiges über ihn zugetragen, das ihn nicht in bestem Licht erscheinen ließ. Unter anderem sollte er mit einem Mädchen von einem Nachbargut eine Liebschaft angefangen und sie sitzengelassen haben, als ihr Bauch dick wurde.
    Wolfhard von Trettin, der sich nie für Dienstbotengeschwätz inter essiert hatte, schien Gustav zu vertrauen, denn er winkte ihn näher zu sich heran. »Ich freue mich, dass du meine Enkelin bis nach Bremerhaven begleiten wirst. Das macht es mir leichter, von ihr zu scheiden. Hier hast du eine kleine Belohnung. Kümmere dich gut um meine Kleine und sorge dafür, dass sie und Elsie rechtzeitig ihr Schiff erreichen!«
    »Keine Sorge, das werden sie«, antwortete Gustav grinsend und strich die drei Taler ein, die der alte Herr mit Kords Hilfe einer alten Geldbörse entnahm. Die restlichen Münzen darin verteilte Wolfhard von Trettin an den Fuhrknecht, Elsie und Lore.
    »Davon könnt ihr euch unterwegs etwas zu essen kaufen«, sagte er, als hätte er ganz vergessen, dass er Elsie bereits das Geld für die Reise übergeben hatte. Er ließ sich noch einmal einschenken, schlürfte den Rotwein mit Genuss und blinzelte Lore mit seinem gesunden Auge zu.
    »So, und jetzt verschwindet, sonst schlagt ihr noch Wurzeln! Viel Glück, mein Kind! Mögen der liebe Gott und die gesamte Bande der katholischen Heiligen, von denen dieser Starzig geschwätzt hat, dich auf deinem weiteren Weg beschützen!«
    »Lebt wohl, Herr Großvater. Ich, ich …« Lore brach ab, weil ihr die Tränen kamen.
    Der alte Herr atmete tief durch und wies Gustav an, Lore hinausführen. Elsie folgte den beiden mit hängendem Kopf, aber um einiges munterer als vor Gustavs Auftauchen. Draußen hatte der Fuhrmann bereits das Gepäck aufgeladen, das aus einer großen Seekiste und zwei Koffern bestand. Während Lore auf den Wagen stieg, fragte sie sich, was ihr Großvater ihr alles mitgegeben hatte. Das wenige, das sie selbst besaß, hatte sie in der Wachstuchtasche verstaut, die sie gegen ihre Brust presste, als müsse sie sich daran festhalten.
    Elsie hatte ebenfalls eine Wachstuchtasche mit Kleidung für die Fahrt mit der Eisenbahn gepackt. Doch ihre wichtigsten Sachen hatte sie in eine alte, übergroße Handtasche gesteckt, die sie umklammert hielt, als sei sie ihr Rettungsanker. Sie wirkte immer noch ängstlich, blickte jedoch vertrauensvoll zu Gustav auf, der sie nun unter den Armen fasste und lachend auf den Kutschbock hob.
    »Ich bin so froh, dass du mitfährst. Allein mit Lore zu reisen, davor hätte ich doch Angst gehabt.«
    »Die brauchst du bei mir nicht zu haben. Für ein Mädchen wie dich tu ich doch alles.« Gustav zwinkerte Elsie zu, stieg dann selbst auf den Wagen und setzte sich so neben sie, dass ihre Hüften sich berührten. Da der Kutscher auf der anderen Seite saß und nach schlechtem Tabak roch, drängte Elsie sich noch enger an Gustav und hielt sich an dessen Arm fest.
    Lore, die auf der linken Seite des Fuhrmanns Platz genommen hatte, nahm diese intime Geste nicht wahr. Aber als die beiden sich ungeniert laut zu unterhalten begannen, begriff sie, dass sie sich schon länger kannten. Offensichtlich waren sie sich zum ersten Mal bei einem Fest in Pörschken begegnet, denn Gustav zog Elsie damit auf.
    Da Lore der Sinn nicht nach fröhlichem Geplauder stand, blendete sie die Stimmen der beiden aus und versuchte zu begreifen, dass sie gerade ihre Heimat verließ und sie niemals mehr wiedersehen würde. Am schlimmsten für sie war, ihren Großvater, für den sie mehr als ein halbes Jahr gesorgt hatte, hilflos

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