DGB 02 - Falsche Götter
Tiefen der Bücherregale auf.
Rasch folgte er dem Geräusch und wusste noch bevor er den Ausgangspunkt erreichte, dass es sein alter Mentor war. Nur Kyril Sindermann kratzte mit derart intensi ven Federstrichen über eine Seite.
Und tatsächlich saß er an seinem Tisch, und als Loken ihn sah, wusste er mit absoluter Gewissheit, dass er den Platz seit ihrem letzten Gespräch nicht verlassen hatte. Wasserflaschen und Verpackungen von Mahlzei ten lagen rings um den Tisch verstreut, und der hagere Sindermann trug feine weiße Stoppeln auf Kinn und Wangen.
»Garviel«, sagte er, ohne aufzublicken. »Sie sind zurückgekommen.
Ist der Kriegsmeister tot?«
»Nein«, erwiderte Loken. »Wenigstens glaube ich das nicht. Jedenfalls noch nicht.«
Sindermann sah auf. »Sie glauben es nicht?«
»Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit ich ihn auf den Tisch des Apothekariums gelegt habe«, gestand Loken.
»Warum sind Sie dann hier? Um eine Lektion hin sichtlich der Prinzipien und Ethik der Zivilisation kann es nicht gehen. Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht«, musste Loken zugeben.
»Etwas Schlimmes, glaube ich. Ich benötige Ihr Wissen über … esoterische Dinge, Kyril.«
»Über esoterische Dinge?«, wiederholte Sindermann, wobei
er die Feder aus der Hand legte.
»Jetzt bin
ich neugierig.«
»Der stille Orden innerhalb der Legion hat den Kriegs meister zum Tempel der Schlangenloge auf Davin ge bracht. Sie haben ihn in einen Tempel verlegt, den sie
Delphos nennen, und sagen, die >ewigen Geister toter Wesen< würden ihn
heilen.«
»Schlangenloge sagen Sie?« Sindermann zog schein bar wahllos Bücher aus den Stapeln auf seinem Tisch. »Schlangen ... das ist wirklich interessant.«
»Was
denn?«
»Schlangen«, wiederholte Sindermann. »Seit den An fängen der Zeit wurde die Schlange auf jedem Konti nent, wo die Menschheit Wesen als Gottheiten verehrte, als
solche anerkannt und akzeptiert. Von den dampfen den Dschungeln der afriquanischen Inseln bis zu den Eiswüsten Albas wurden Schlangen gleichermaßen an gebetet,
gefürchtet und verehrt. Ich glaube, die Mytho logie
der Schlange ist vermutlich die am weitesten ver breitete Mythologie, die der Menschheit bekannt ist.«
»Wie ist sie dann nach Davin gelangt?«, fragte Loken.
»Das ist nicht schwer zu verstehen«, erklärte Sinder mann.
»Sehen Sie, Mythen wurden ursprünglich nicht in Worte oder
Schrift gekleidet, weil sie als unzurei chend erachtet wurden, die in den Geschichten übermit telte Wahrheit auszudrücken. Mythen verbreiten sich nicht mit Worten, Garviel, sondern mit Geschichtener zählern, und wo es Menschen gibt, wie primitiv oder weit
entfernt von der Wiege der Menschheit sie auch sein mögen, gibt es auch Geschichtenerzähler. Die meis ten dieser Mythen wurden wahrscheinlich ausgeübt, also getanzt oder gesungen, und zwar häufig in einem Zustand der Hypnose oder Halluzination. Das muss ein unglaublicher Anblick gewesen sein, aber jedenfalls wurde über diese Methode behauptet, sie gestatte den kreativen Energien hinter und unter der natürlichen Welt, ins bewusste Gefilde einzudringen. Früher haben die Menschen geglaubt, Mythen schafften eine Brücke zwischen der metaphysischen und der physischen Welt.«
Sindermann blätterte in einem Buch, das ziemlich neu aussah und in frisches rotes Leder gebunden war. Er drehte es um, damit Loken es sehen konnte. »Hier. Dort sehen Sie es ganz klar.«
Loken betrachtete die Bilder und sah nackte Stammes krieger, die mit langen, in Schlangen endenden Stäben
tanzten, aber auch Schlangen und Spiralen auf primiti vem Tongeschirr. Andere Bilder zeigten Vasen mit riesi gen Schlangen, die sich über Sonnen, Monde und Sterne wanden, während wieder andere Schlangen zeigten, die unter wachsenden Pflanzen auftauchten oder sich um die Bäuche schwangerer Frauen ringelten.
»Was betrachte ich hier?«, fragte er.
»Artefakte von einem Dutzend verschiedener Wel ten, gefunden im Verlauf des Großen Kreuzzugs«, sagte Sindermann. »Sehen Sie es nicht? Wir tragen unsere
Mythen immer bei uns, wir erfinden sie nicht neu.«
Er blätterte
um, zeigte Loken noch mehr Bilder und sagte: »Hier ist die Schlange das Symbol für Energie, spontane, kreative Energie ... und für Unsterblichkeit.«
»Unsterblichkeit?«
»Ja. In alten Zeiten glaubten die Menschen, dass die Fähigkeit der Schlange, sich zu häuten und damit ihre
Jugend zurückzugewinnen, ihr Einblick in die Geheim nisse von Tod und Wiedergeburt gewährte. Sie sahen
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