DGB 09 - Mechanicum
sich der Drache auf Maschine
und Reiter, wobei Blitze aus seinen Augen geschossen kamen. Der Helm wurde dem
Ritter vom Kopf gerissen, und Dalia konnte sein fahles Gesicht sehen, das von
innen leuchtete. Als er nach dem Drachen schlug, wurde das Strahlen intensiver,
bis es so grell war wie das Licht einer neugeborenen Sonne.
Es gelang dem Drachen, sich um
den Ritter zu schlängeln, nach seiner Rüstung zu schlagen und zu beißen, wobei
er immer wieder ein röhrendes Triumphgeheul ausstieß. Dalia fiel auf, dass die
Kreatur bei all ihren Bewegungen stets darauf bedacht war, eine Stelle unter dem
linken Flügel zu schützen.
»Schlag zu, Krieger! Schlag
zu!«, spornte sie ihn an.
Als hätte er ihre Worte gehört,
beugte sich der Ritter vor und richtete sich dann auf, um sein Schwert mit einem
lauten Aufschrei in den Bauch des Drachen zu treiben.
Die Kreatur stieß ein
ohrenbetäubendes Gebrüll aus, das Steine aus der Stadtmauer brechen ließ. Dann
erlosch das brennende Leuchten in ihrer Brust. Ihr Griff um den Ritter lockerte
sich, und es zuckten keine weiteren Blitze aus ihren Augen, als sie zu Boden
ging.
Der Ritter erkannte, dass der
Drache hilflos, aber nicht tot war, woraufhin er das lange weiße Banner von
seiner zerschmetterten Lanze nahm und es dem riesigen Monster um den Hals band.
Da der Drache geschlagen war,
wandte sich der Ritter den erstaunten Dienerinnen und den Einwohnern der Stadt
zu, die aus den Toren schwärmten und bewundernde Rufe ausstießen. Der Ritter
hob eine Hand, damit Ruhe einkehrte. Seine Präsenz und Ausstrahlung waren so
beträchtlich, dass die Menschen angesichts der Geste sofort verstummten.
»Der Drache ist besiegt«, rief
der Krieger. »Aber es liegt fernab meiner Macht, ihn zu zerstören. Darum werde
ich ihn von hier wegbringen und ihn tief in der Dunkelheit binden, wo er bis
zum Ende aller Zeiten bleiben wird.«
Mit diesen Worten machte sich
der Ritter auf den Weg, den gefesselten Drachen im Schlepptau, während die Szene
hinter ihm erstarrt wie ein Gemälde zurückblieb.
Das Bild der Stadt und der
Wüste war wie in der Zeit eingefroren, und Dalia drehte sich zu Semyon um. »Ist
das alles?«
»Das ist alles, woran sich der
Drache erinnern kann«, erwiderte der Adept. »Oder zumindest ist es eine Version
seiner Erinnerung. Manchmal ist es schwierig zu unterscheiden, was echt ist und
was nicht. Ich höre sein ohnmächtiges, hasserfülltes Gebrüll, während er von seinem
Gefängnis aus den Mars beobachtet, und schreibe, was dabei herauskommt ... der
Imperator, der den Drachen des Mars >tötet< ... die große Lüge über den
Roten Planeten und die Wahrheit, die die Galaxis erschüttern würde, wenn sie
bekannt wäre. Aber die Wahrheit ist wie alle Dinge ein bewegliches Ziel. Was
davon ist Realität und was Fantasie? Nun, wer kann das schon sagen?«
Dalia sah zum Horizont, hinter
dem der Ritter verschwunden war. »Dann war das ...?«
»Der Imperator? Ja«, bestätigte
Semyon, wandte sich ab und ging weg, während sich die Realität der
Wüstenlandschaft aufzulösen begann. »Er brachte den besiegten Drachen zum Mars
und band ihn unter dem Noctis Labyrinthus.«
»Aber warum?«
»Der Imperator sieht Dinge, die
wir nicht sehen«, sagte er.
»Er kennt die Zukunft und führt
uns dorthin. Hier ein kleiner Schubs in die richtige Richtung, dort die Aussaat
einer vorbe-reiteten Prophezeiung, die von seiner Ankunft kündet. Der
Grundstein für eine transhumanistische Bewegung, der Übergang vom Verständnis
der Wissenschaft hin zu ihrer Anwendung ... alles nach seinem Plan, alles mit
der Absicht einer glorreichen Union in der Zukunft, in der die Schmieden des Mars
den Imperator als die Gottheit wahrnehmen, auf die sie seit Jahrhunderten
gewartet haben.«
»Soll das heißen, der Imperator
hat die Entwicklung des Mechanicums gelenkt?«
»Natürlich«, bejahte Semyon.
»Er wusste, er würde eines Tages eine so mächtige Organisation benötigen, die
ihm dient. Aus den Träumen des Drachen entstanden die ersten Maschinen der
Priester des Mars. Ohne den Drachen hätte es kein Mechanicum gegeben, und der
große Traum des Imperators von einer geeinten Galaxis für die ganze Menschheit
wäre verkümmert.«
Dalia versuchte, die ungeheuren
Dimensionen zu begreifen, in denen der Imperator denken und handeln musste.
Dazu die Klarheit einer Vision, Pläne in Gang zu setzen, die erst in
zwanzigtausend Jahren Wirkung zeigen würden. Es war so gut wie unfassbar, dass
irgendjemand — auch
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