DGB 12 - Verlorene Söhne
entweder den
Schlüssel zu meinen Kräften finden oder aber bei dem Versuch sterben.«
»Eine etwas drastische
Vorgehensweise, Milord.«
»Findest du, Lemuel? Findest du
das wirklich? Ist es nicht besser, nach den Sternen zu greifen und dabei zu scheitern,
als es gar nicht erst zu versuchen?«
»Sterne sind riesige Feuerbälle
aus Gas«, befand Lemuel lächelnd.
»Sie neigen dazu, jeden zu
verbrennen, der ihnen zu nahe kommt.«
Ahriman lachte leise. »Der
Memorator kennt sich mit seinem Pseudo-Apollodorus aus.«
»Das tut er wirklich«, stimmte
Magnus ihm zufrieden zu. »Aber ich schweife ab. Ein Jahr nach meiner Ankunft auf
Prospero durchschritt ich die Tore von Tizca und marschierte fast vierzig Tage
lang durch die Wildnis. Bis zum heutige Tag nennt man sie die Einöde von
Prospero, aber diese Bezeichnung ist irreführend, denn die Landschaft ist in
Wahrheit sehr schön. Sie wird dir gefallen, Lemuel.«
Lemuels Herzschlag
beschleunigte sich, da ihm einfiel, wie Ahriman ihm von einer Vision erzählte
hatte, in der er auf Prospero gestanden hatte.
»Davon bin ich überzeugt,
Milord.«
Dann schenkte sich Magnus ein
Glas Wein ein und begann mit seiner Geschichte.
»Ich ging Hunderte Meilen weit,
ich ging auf Straßen, die durch Städte führten, die aus den eisernen Skeletten hoher
Türme, leeren Palästen und prachtvollen Amphitheatern bestanden. Es war eine
Zivilisation von großem Wert gewesen, aber sie war an einem einzigen Tag
untergegangen, was kein ungewöhnliches Schicksal während des Wahnsinns der
Alten Nacht war. Schließlich erreichte ich eine weitere Stadt, eine ausladende
Ruine am Fuß einer Klippe, die mir vertraut vorkam, obwohl ich Tizca nie zuvor
verlassen hatte. Einen Tag und eine Nacht verbrachte ich damit, durch die
verlassenen Straßen zu wandern, vorbei an von Schatten heimgesuchten Gebäuden und
leeren Häusern, in denen noch der letzte Atemzug derjenigen nachhallte, die
dort gewohnt hatten. Diese Leute hatten in der Überzeugung gelebt, dass sie
nichts fürchten mussten und dass sie selbst über ihr Schicksal bestimmten. Mit
der Ankunft der Alten Nacht hatte sich das geändert, denn die hatte ihnen
gezeigt, wie schrecklich verwundbar sie in Wahrheit waren. In diesem Moment
schwor ich mir, alle Kräfte zu meistern, über die ich verfügte, damit ich
niemals den Launen eines sich ständig verändernden Universums zum Opfer fallen
würde. Ich würde mich solchen Bedrohungen stellen und sie überwinden.«
Abermals verspürte Lemuel die
volle Wucht des Selbstvertrauens, das der Primarch ausstrahlte, als würde es
seine Haut überziehen und seinen ganzen Körper mit neuem Leben erfüllen.
»Ich folgte einem schmalen
Pfad, der an der Klippe hinaufverlief, und gelangte zu einer Biegung, an der
ein vor langer Zeit verstorbener Bildhauer eine große Statue aufgestellt hatte,
einen aus buntem Stein gehauenen Vogel. Es war das Bildnis eines großartigen
Tiers mit ausgestreckten Flügeln und dem eleganten Hals eines Schwans. Die
Statue stand am äußersten Rand der Klippe. Tausende von Jahren hatte sie dort
gestanden und immer leicht geschwankt, ohne jedoch aus der Balance zu geraten.
Doch kaum hatte ich sie bewundert, kippte sie über den Rand, stürzte in die
Tiefe und schlug am Fuß der Klippe auf, wo sie in tausend Stücke zerschmettert wurde.
Der Anblick der fallenden Statue erfüllte mich mit nahezu untröstlicher Trauer,
für die ich keine Erklärung hatte. Ich brach meine Wanderung in die Berge ab
und kehrte zurück, um dorthin zu gehen, wo die Statue aufgeschlagen war.
Der Boden war mit einem
Scherbenteppich übersät, kleine und große Scherben, aber so viele, dass sie so
weit verstreut lagen, dass ich eine Stunde lang hätte gehen können und immer
noch alles mit ihnen bedeckt gewesen wäre. Ich verbrachte den ganzen Tag damit,
nur diese Scherben anzusehen und ihr Gewicht zu spüren, während ich darüber
nachdachte, warum sich die Statue ausge-rechnet diesen Moment ausgesucht hatte,
um abzustürzen.«
Magnus hielt inne, sein Auge
war auf einen weit entfernten Punkt gerichtet, während er diese Erinnerungen wieder
durchlebte.
»Sie sagten >ausgesucht<,
als hätte die Statue auf Sie gewartet«, warf Lemuel ein. »Ist es nicht möglich,
dass es nur ein Zufall war?«
»Ganz bestimmt hat Ahriman dir
beigebracht, dass es keine Zufälle gibt.«
»Ich habe es ein paarmal
erwähnt«, kam Ahrimans Kommentar.
»Ich verbrachte die Nacht dort,
und am nächsten Morgen wachte ich voller
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