DGB 12 - Verlorene Söhne
Sie fühlte sich benommen und musste sich im grellen
Sonnenschein erst einmal orientieren.
Allmählich kehrte die
Erinnerung zurück, und ihr fiel die halb vergessene Stadt aus ihrem Traum ein,
die so ein fürchterliches Ende genommen hatte. Der Schmerz in ihrem Kopf war
nur noch ein dumpfes Pochen, eine geistige Prellung, die ihre leichte
Benommenheit erklärte.
Kallista goss sich etwas Wasser
in einen Becher, das zwar vom verwehten Salz körnig war, doch es genügte, um
die Trockenheit zu vertreiben, die ihren Mund erfasst hatte.
Ein paar Tropfen landeten auf
den Blättern, die auf dem Schreibtisch verstreut lagen. Dabei bemerkte
Kallista, dass diese Blätter mit wirrem Gekritzel übersät waren. Etwas unbeholfen
stand sie auf, da ihre Beine nach den Strapazen der vergangenen Nacht noch
immer ein wenig wacklig waren.
Sie setzte sich auf ihr Bett
und betrachtete von dort aus den Schreibtisch, als wären die Blätter und die
Stifte gefährliche Tiere, aber nicht ihre Arbeitsutensilien. Sie rieb sich die
Augen und strich sich die Haare aus dem Gesicht, während sie überlegte, was sie
als Nächstes tun sollte.
Dutzende Blätter waren wirr
beschrieben worden. Kallista schluckte, da sie nicht so recht wusste, ob sie
sich überhaupt ansehen wollte, was sie bei ihrem jüngsten Schmerzanfall zu
Papier gebracht hatte. Meistens handelte es sich um unleserlichen Unsinn oder
sinnlose Wortfetzen und Buchstabenkombinationen, von denen Kallista nicht
wusste, was sie damit anfangen sollte. Wenn es ihr nicht gelang, das Feuer noch
rechtzeitig mit einer Infusion Sakau zu löschen, dann zerriss sie die Blätter
üblicherweise unter dem Einfluss des Feuers.
Diesmal war das nicht
geschehen.
Kallista betrachtete die
kantige Schrift, die nicht ihre Handschrift war, und auf einmal fröstelte ihr
trotz der morgendlichen Hitze.
Ein Satz stand auf den
zerknüllten Blättern geschrieben, immer und immer wieder — tausendfach derselbe
Satz.
Mit behutsamen Pinselstrichen
wischte Camille den Staub von Äonen von dem Objekt, das in der Erde begraben lag.
Es war von runder Form, die Oberfläche war poliert und ließ nicht erkennen,
dass der Gegenstand über Jahrtausende hinweg unter der Erde gelegen hatte.
Vorsichtig legte sie das cremefarbene Objekt frei und wunderte sich von Minute
zu Minute mehr darüber, wie gut es erhalten war. Weder hatte ihm Korrosion
zugesetzt, noch war es anderweitig beschädigt.
Ebenso gut konnte es erst
gestern an dieser Stelle vergraben worden sein.
Weitere vorsichtige
Pinselstriche gaben den Blick frei auf einen knolligen Aufsatz weiter unten,
etwas, das vom Aussehen her an eine Kom-Einheit erinnerte. So etwas hatte sie
noch nie gesehen, da es schien, als sei das Objekt aus einem einzigen Stück geschaffen
worden. Sie schaufelte mehr Erde zur Seite und griff dann wieder zum Pinsel,
erfreut darüber, dass sie ein Artefakt entdeckt hatte, das eindeutig nicht
menschlichen Ursprungs war.
Sie hielt inne und dachte an
die titanenhaften Statuen, wobei ihr bewusst wurde, dass die aus einem ganz
ähnlichen Material zu bestehen schienen wie dieses Objekt. Womöglich verbarg
sich ja unter der Erde etwas von vergleichbarer Größe. Ein Schauer lief ihr
über den Rücken, obwohl sie immer noch ihre Handschuhe trug und darauf geachtet
hatte, den Fund nicht mit bloßen Fingern zu berühren.
Camille streckte ihren Rücken
und wischte sich mit dem Arm über die Stirn. Sogar wenn man nicht der direkten
Sonnenein-strahlung ausgesetzt wurde, war diese Hitze einfach nur erdrückend.
Nachdem sie nun einen größeren
Teil des Objekts freigelegt hatte, griff sie zu ihrem Bildgeber und machte aus verschiedenen
Winkeln und Entfernungen Aufnahmen. Der Bildgeber war ein Geschenk ihres
Großvaters gewesen, ein altes Modell K Seraph 9, erworben von einem Optiker auf
den Märkten von Byzant, der sie seinerseits einem Schürfer abgenommen hatte,
den er im Taurusgebirge um das anatolische Plateau umgebracht hatte. Der Schürfer
wiederum hatte es in der Zeit vor der Einheit einem Schichtführer in einer Manufaktur
im Ural abgekauft, wo der Bildgeber von einem Montageservitor zusammengebaut
worden war, bei dem es sich einst um einen Mann namens Hekton Afaez gehandelt
hatte.
Sie sah sich um und hielt den
Atem an, um konzentriert zu horchen, ob sich jemand in ihrer Nähe aufhielt. Sie
konnte die gleichmäßigen Geräusche der Spitzhacken und Schaufeln ihres
Grabungsteams aus Servitoren hören, dazu das leise Gemurmel des
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