Dhalgren
sind alle unterschiedlich lang. Ich dachte, wenn sie Töne von sich geben, kann man sie . . . vielleicht . . . spielen.«
»Stahlklingen? Ich glaube, sie sind nicht spröde genug. Glocken und so sind aus Eisen.« Sie bog den Kopf zur Seite.
»Die Dinge müssen spröde sein, wenn sie klingen sollen. Wie Glas. Messer sind hart, klar, aber sie sind zu flexibel.«
Sie sah nach einem Moment hoch. »Ich mag Musik. Ich wollte Musik machen. An der Staatsuni. Aber die WiSo-Abteilung war so gut. Ich glaube, ich habe in ganz Bellona kein einziges japanisches Restaurant gesehen, seit ich hier zur Schule gehe. Aber es gab ein paar sehr gute chinesische . . .« Irgend etwas tat sich in ihrem Gesicht, es löste sich, teils erschöpft, teils verzweifelt. »Wir tun, was wir können, weißt du . . .«
»Was?«
»Wir tun, was wir können. Hier.« Er nickte knapp.
»Als es passierte«, sagte sie leise, »war es schrecklich.« »Schrecklich« klang absolut ausdruckslos, so wie einmal ein Mann in braunem Anzug, er erinnerte sich, »Fahrstuhl« gesagt hatte. Es ist der Ton, dachte er und ihm fiel wieder ein, wie er auch Taks Sprache entblößt hatte. Sie sagte: »Wir blieben. Ich blieb. Ich glaube, ich spürte, daß ich bleiben mußte. Ich weiß nicht, wie lange ... ich meine, wie lange ich bleiben werde. Aber wir müssen etwas tun. Da wir hier sind, müssen wir.« Sie atmete. Ein Muskel zuckte an ihrem Kiefer. »Du . . .?«
»Was?«
»Was magst du, Kidd? Wenn jemand deinen Namen ausspricht?«
Er wußte, daß es unbewußt kam; trotzdem war er verärgert. Seine Lippen formten ein: Also . . . doch es kam nur Atem. »Stille?«
Atem wurde zu Zischen; das Zischen wurde zu ». . . manchmal.«
»Wer bist du? Wo kommst du her?«
Er zögerte und beobachtete, wie ihre Augen etwas daraus lasen:
»Du hast Angst, weil du noch neu hier bist . . . glaube ich. Ich fürchte, weil ich hier . . . schon so unheimlich lange bin!« Sie blickte über das Lager.
Zwei langhaarige Jungen standen bei den Schlackeblöcken. Einer hielt die Hand hoch, entweder, um sich zu wärmen, oder um einfach nur Hitze zu fühlen.
Es ist ein warmer Morgen. Ich sehe in dieser Laubkugel keinerlei Schutz. In der Verbindung von Objekt und Schatten gibt es keine Gliederung, keinen festen Winkel zwischen Brennstoff und Flamme. Wo würden sie ihren Schutz aufschlagen, Grundmauern in Asche eingesunken, Türen und Fenster in Schlacke versinkend? Es gibt nichts, dem man trauen kann, außer, es wärmt.
Mildreds Lippen öffneten sich, ihre Augen zogen sich zusammen. »Weißt du, was John gemacht hat? Ich glaube, auch das war mutig. Wir hatten gerade die Feuerstelle gebaut. Damals waren wir nur ein paar hier. Jemand wollte es mit einem Feuerzeug anzünden. Aber John sagte: warte, und ging bis zum Holland-See. Damals waren die Brände schlimmer als heute. Und er brachte eine Fackel mit - einen alten, trockenen, brennenden Stock. Ich glaube, er mußte das Feuer mehrere Male auf dem Weg auf andere Stöcke übertragen. Und mit diesem Feuer-« sie nickte herüber, wo einer der Jungen jetzt mit einem zerbrochenen Besenstiel in den Scheiten stocherte - »hat er unseres angesteckt.« Der andere wartete mit einem Scheit auf dem Arm. »Ich denke, das war sehr mutig, nicht wahr?« Der Holzscheit fiel herab. Funken sprühten durch das Gitter, höher als die niedrigsten Zweige.
»Hey, Milly!«
Funken wirbelten, und er wunderte sich, daß alle so laut sprachen, wo doch so viele schliefen.
»Milly, sieh mal, was ich gefunden habe!«
Sie hatte eine blaue Arbeitsbluse an, die offenstand. In einer Hand hielt sie die Harmonika, in der anderen ein Notizbuch an einer Spirale.
»Was ist es?« rief Milly zurück.
Als sie an der Feuerstelle vorbeikam, schleuderte sie das Notizbuch durch die Funken, entfachte Feuerräder, die versanken. »Gehört das hier irgend jemandem? Es ist verbrannt. Der Einband.«
Sie setzte sich damit hin, zwischen sie, mit gebeugten Schultern, das Gesicht in konzentrierte Falten gelegt. »Es ist das Übungsheft von irgend jemandem.« Die Pappe war in einer Ecke schwarzgefleckt. Hitze hatte die halbe Rückseite verfärbt.
»Was ist drin?« fragte Milly.
Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Oberarm und Hüfte rieben sich an seiner. Er rutschte die Bank herunter, um ihr Platz zu machen, überlegte, ob er zurückrutschen sollte, nahm statt dessen die Zeitung und schlug sie auf - Klingen zerschnitten eine Seite - bis zur zweiten Seite.
»Wer hat die ersten Seiten
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