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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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nicht aber Shakespeare, dabei sind die Ritter und die Metaphysiker, nicht aber die Romantiker: Der Künstler, der sich vollständig dem Leben hingibt, der auf eine Art perfektes Ideal hin lebt. Irgendwann in seiner Vergangenheit hat er entdeckt, daß er, nehmen wir an, Dichter ist: daß bestimmte Situationen, bestimmte übereinstimmende Situationen - normalerweise zu kompliziert für ihn, um gänzlich verstanden zu werden, weil sie günstigerweise bewußten Willen und unbewußte Leidenschaft gegenüberstellen - irgendwie ein Gedicht entweder begründen oder hervorrufen. Er verschreibt sich nach seinem Konzept dem zivilisierten Leben, in dem Dichtkunst existiert, weil sie Teil der Zivilisation ist. Er riskiert genausoviel wie sein Vetter. Allgemein produziert er weniger, mit größeren Zwischenräumen und muß sich ständig mit der Tatsache vertraut halten, daß er nie wieder etwas schreiben wird, wenn das Leben es ihm so vorschreibt - ein Großteil seiner zivilisierten Energien wendet er dafür auf, sich selbst von der Undeutsamkeit seiner Kunst zu überzeugen, die theatralische Seite seiner Persönlichkeit zu unterdrücken, von der Ehrgeiz nur einen kleinen Teil ausmacht. Er steht viel näher am Teich. Er schleudert nichts, er läßt fallen. Wieder ist Genauigkeit überaus wichtig. Es gibt Leute, die auf eine Viertelmeile ins Schwarze treffen, während andere aus zehn Fuß Abstand das Ziel verfehlen. Wenn er trifft, so sind die Wellen und Ringe, die diese Art Künstler produziert, viel komplizierter, wenn sie auch der ursprünglichen Kraft entbehren. Er ist viel stärker Sklave der Kultur, in der er lebt: Seine größten Werke stammen aus der Abteilung, die Kunsthistoriker grob als »gefällige und ästhetische Produktion« betiteln. Ich sage, er steht sehr nah am Teich. Und in der Tat verbringt er einen Großteil seiner Zeit damit, hineinzustarren. Ich selber strebe eher diesen zweiten Typus an. Ich bin nach Bellona gekommen, um es zu erfahren. Und ich finde die gesamte Kultur hier - ich kann mich da nicht verstellen - absolut parasitär . . . saprophytisch. Es steckt an - selbst auf Rogers sorgfältig abgeriegeltem Anwesen. Es korrumpiert meine Vorstellung von einem guten Leben. Daher, wenn auch nur teilweise, mißhandelt es alle meine Einstellungen gegenüber Kunst. Ich wäre gern ein guter Mensch. Aber hier ist es zu schwierig. Wahrscheinlich ist das feige, aber es entspricht der Wahrheit.«
    Der Kaffee war kalt und rief eine Erinnerung hervor, die er nicht unterbringen konnte. »Mr. Newboy -« Er schluckte ihn und dachte nach. »Glauben Sie, daß ein schlechter Mensch ein guter Dichter sein kann? . . . oder ist das eine dumme Frage?«
    »Nicht, wenn Sie in erster Linie sich selber befragen. Ich
    meine, wir haben Villon in Verdacht, einen Mord begangen zu haben und durch den Strang umgekommen zu sein. Aber - und das ist eine schrecklich unpopuläre Bemerkung - er könnte genausogut über die eigenartigen Leute in seiner Umgebung geschrieben haben, und hätte, als sie ihn in ihre Affären hineinzogen, die schlechte Gesellschaft aufgeben, das Schreiben unterlassen, den Namen wechseln und als respektabler Bürger in einer anderen Stadt sterben können. Vom praktischen Gesichtspunkt aus gesehen - und man müßte schon eine ganze Menge Gutes geschrieben haben, um eine solche Praktikabilität schätzen zu können - könnte ich mir vorstellen, daß es ganz schön schwierig wäre. Doch es wäre an meiner Stelle absurd, wenn ich es für unmöglich erklären würde. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
    Als Kid hochblickte, überraschte es ihn, daß der ältere Herr ihn direkt anlächelte.
    »Aber aus dieser Frage spricht nur Ihr natürlicher Idealismus.« Newboy drehte sich ein wenig auf seinem Kissen. »Alle guten Dichter neigen zum Idealismus. Sie neigen auch dazu, faul zu sein, bitter und machtgierig. Setz zwei von ihnen zusammen, und sie reden unweigerlich über Geld. Ich glaube, in ihren besten Werken versuchen sie das, was sie sind, mit dem zu vereinbaren, was sie wissen und was sie sein sollten - um ins gleiche Universum hineinzupassen. Sicherlich sind diese drei Züge drei Züge von mir selber, und ich weiß, daß sehr schlechte Menschen oft darüber verfügen. Sollte ich jedoch meine Faulheit meistern, ich denke, ich würde damit auch sämtliches Gefühl für sparsamen Ausdruck verbannen, was die Grundlage für Stil ist. Sollte ich meine Bitterkeit überwinden, auf immer aus meiner Person hinausprügeln, ich

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