Dhalgren
beginnt? Mein Herz schneller schlägt, meine Knie wie Motoren zittern? Es war nur ein Komma, die kleinste Einheit des Schweigens, die ich falsch gesetzt habe - nur eine Pause. Ich zitterte wie Teddy's Kerzen. Die Freude war überwältigend und überlagerte und verdrängte jenes andere. Freude über eine gespürte Gemeinsamkeit. (Newboy hatte es gewußt!) Um sich im Zaum zu halten, sagte sich Kid: Zwischen zwei derartigen Sätzen, warum sollte es Newboy nicht möglich sein, es zu wissen? Er senkte den Kopf und las weiter: Seine Augen füllten sich mit Wasser, und die Emotion durchbrach diese Logik. Und die Dunkelheit darunter. Er stellte sich ihren Zusammenstoß vor, wie es Wellen schlug. Aber die Gefühle trafen sich wie zwei Strudel mit verschiedener Umdrehung. Trafen aufeinander - und hoben sich auf. Er zwinkerte. Wasser spritzte von den Lidern auf seinen Handrücken.
Er hatte einmal in der rechten Schulter einen immer wiederkehrenden Schmerz gehabt, der ihn vor drei oder vier Jahren sehr geplagt hatte, weil er für Stunden oder sogar Tage als pulsierende Unannehmlichkeit andauerte und dann innerhalb einer Sekunde verschwand: Keine Zerrung oder Stoß konnte es künstlich hervorrufen. Er hatte es seit Jahren nicht gespürt, bis jetzt.
Er spannte die Schultern an und las das nächste Gedicht. Bilder setzten sich auf seiner Netzhaut fest, ihre Substanz und Struktur waren vertraut, ihre Gestaltung aber fremd, fremd und ernst. Er zwinkerte weiter, um die Zeile in Gedanken zu vollenden; öffnete die Augen und sah sie auf dem Papier vollendet, wo sie nach anderen Betonungen verlangte. Glaskästen klickten ihre durchsichtigen Hüllen über lähmendes Erstaunen. Die Dinge waren sicher, und das war so furchterregend, daß sein Herz in der kleinen Grube unten am Hals pochte, als müsse er Felsen auf Felsen schlucken. »Mr. Newboy?«
»Hmmm?« Papierrascheln.
Kid blickte hinüber.
Newboy sah die Illustrationen durch.
»Ich glaube, ich schreibe keine Gedichte mehr.«
Newboy blätterte eine schwarze Seite um. »Mögen Sie sie beim Lesen nicht mehr?«
Kid löste die nächste lange Seite ab. Die ersten beiden Worte der ersten Zeile des ersten Gedichts waren vertauscht. -
»Hier!« Mr. Newboy bot ihm seinen Bleistift an. »Sie haben einen Fehler entdeckt?« Er lachte. »Nein, Sie müssen nicht so fest aufdrücken. Sie zerreißen ja das Papier!«
Kid entspannte die Schultern, lockerte die Wirbelsäule und löste die Finger um den gelben Stift. Er holte wieder Luft. »Sie werden das in Ordnung bringen, nicht?«
»Oh, ja. Deshalb sehen Sie es ja durch.«
Kid las und erinnerte sich: »Die Teile, ... die mir . . . gut gefallen . . .« Er schüttelte mit zusammengepreßten Lippen den Kopf. »Sie haben einfach nichts mit mir zu tun. Jemand anders hat sie geschrieben, wie es scheint, über Dinge, die ich vielleicht einmal gedacht habe. Das ist ganz schön komisch. Die Teile, die mir nicht gefallen - nun, da kann ich mich erinnern, wie ich sie Wort für Wort für Wort geschrieben habe.«
»Und warum wollen Sie keine mehr -?«
Aber Kid hatte einen neuen Fehler gefunden.
»Hier«, sagte Newboy. »Warum legen Sie die Fahnen nicht auf das Notizbuch. Dann können Sie besser schreiben.«
Während Kid halbwegs durch die nächste Fahne las, grübelte Newboy: »Vielleicht ist es gut, daß Sie keine Gedichte mehr schreiben: Sie müßten sich sonst all diese langweiligen Dinge überlegen, wie Ihre Beziehung zu Ihrer Leserschaft, der Beziehung zwischen Ihrer Persönlichkeit und den Gedichten, die Beziehung zwischen Ihren Gedichten und aller anderen Dichtung. Seit Sie mir gesagt haben, daß Sie mit diesen Aufzeichnungen nichts zu tun haben, habe ich versucht, herauszufinden, ob es zufällig ist oder ob Sie es bewußt eingesetzt haben: Sie haben praktisch wörtlich eine meiner Lieblingszeilen aus Goldings Übersetzung der Metamorphosen übernommen.«
»Hmmm?«
»Kennen Sie es?«
»Ist es ein grün-weißes Taschenbuch? Das ist doch der, den Shakespeare bei einigen seiner Stücke benutzt hat. Ich habe nur die erste Hälfte gelesen. Aber ich habe daraus nichts abgeschrieben, zumindest nicht absichtlich. Vielleicht ist es Zufall?«
Mr. Newboy nickte. »Sie sind erstaunlich. Manchmal denke ich, ich bin die kleinere Persönlichkeit von uns beiden, weil ich zuerst das andere gedacht habe. Die Zeile, die ich meine, ist aus dem letzten Buch. Sie waren also noch gar nicht so weit gekommen. Sagen Sie, wer wird Ihrer Meinung nach Ihre
Weitere Kostenlose Bücher