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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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veröffentlichten Gedichte lesen?«
    »Ich denke, Leute . . . also, wer gern Gedichte liest.«
    »Tun Sie das?«
    »Yeah. Mehr als alles andere, glaube ich.«
    »Nein, das überrascht mich nicht.«
    »So in den Buchläden für Schulen, oder im Village in New York oder in San Francisco. Sie haben ganze Abteilungen für Gedichte. Man kann dort eine Menge lesen.«
    »Warum Gedichte?«
    Kid zuckte die Achseln. »Die meisten Gedichte sind kürzer als Geschichten.«
    Newboy, Kid konnte es sehen, unterdrückte ein Lachen. Kid war verlegen.
    »Und Sie wollen nichts mehr schreiben?«
    »Es ist zu schwer.« Kid blickte nach unten. »Ich meine, wenn ich weitermache, dann bringt es mich um. Ich hatte es vorher nie getan, daher verstand ich es einfach nicht.«
    »Das ist traurig - nein, ich kann zu Ihnen ehrlicher sein. Es macht Angst, wenn ein Künstler sieht, wie sich ein anderer von der Kunst abwendet.«
    »Yeah.« Kid blickte hoch. »Ich weiß. Das weiß ich wirklich. Und ich wünschte - ich wünschte, ich würde Ihnen nicht so viel Angst machen. Was ist es? Was ist jetzt mit Ihnen?«
    »Nichts.« Newboy schüttelte den Kopf.
    »Das wünschte ich wirklich«, wiederholte Kid. »Das letzte Gedicht. . .« Kid begann, die Fahnen durchzublättern. »Wie fanden Sie das? Ich meine, verglichen mit den anderen?«
    »Das in Hexametern? Es ist nicht fertig. Wir haben es so weit abgedruckt, wie Sie gekommen sind. Das war die andere Sache, die ich Sie fragen wollte -«
    »Wie finden Sie denn das, was fertig ist?«
    »Ehrlich gesagt, ich fand es nicht so stark wie manche anderen. Als ich es zum vierten oder fünften Mal las, habe ich angefangen zu sehen, daß seine Substanz wahrscheinlich auf dem richtigen Weg zu großer Reichhaltigkeit ist. Aber die Sprache schien mir nicht so originär. Auch nicht so ausgefeilt.«
    Kid nickte. »Der Rhythmus der natürlichen Sprache«, grübelte Kid. »Ich mußte es schreiben. Und es ist ziemlich schlecht, stimmt's? Nein, ich werde wohl nichts mehr schreiben. Außerdem werde ich wahrscheinlich nie wieder etwas veröffentlicht bekommen . . .?« Er blickte Newboy mit hoch gezogenen Brauen an.
    Newboy überlegte mit geschürzten Lippen: »Ich könnte sagen, daß dies mit Sicherheit keine richtige Überlegung sei. Oder daß, wie ich mich erinnere, ungefähr elf Jahre zwischen meinem ersten und meinem zweiten Gedichtband gelegen haben. Oder daß ich glaube, daß Sie von mir bestätigt werden wollen, bestätigt in etwas, was mit Lyrik nun wirklich nichts zu tun hat.«
    »Was könnten Sie noch sagen?«
    Newboys Lippen glätteten sich. »Ich könnte sagen: Ja, vielleicht nicht.«
    Kid grinste flüchtig und las weiter Korrektur.
    »Es ist sehr dumm, sich damit zu beschäftigen, ob Sie nun weiterschreiben oder nicht. Wenn Sie das geschrieben haben, werden Sie auch anderes schreiben. Und wenn Sie sich versprechen, es nicht zu tun, werden Sie nur sehr unglücklich sein, wenn Sie das Versprechen brechen. Jawohl, ein Großteil in mir mag den Gedanken nicht, daß ein Künstler seine Kunst aufgibt. Aber jetzt redet ein anderer Teil von mir, glauben Sie mir.«
    Kids Gedanken waren bei Lanya.
    Er entzog sich ihnen und dachte: Goldings Metamorphosen. Er hatte das Buch ein Dutzend Male in Buchläden gesehen und es genausooft herausgenommen, den Rückseitentext gelesen, die erste Seite der Einleitung, hatte drei oder vier Seiten flüchtig gelesen, unfähig, sich auf drei oder vier Zeilen auf jeder zu konzentrieren. (Das gleiche, merkte er, war ihm bei Pilgrimage passiert.) Die erste Hälfte? Er hatte nicht einmal eine einzige Seite lesen können! Lyrik, dachte er. Wenn ich davon einem solchen Typen gegenüber zu lügen anfange, sollte ich damit aufhören.
    Kid korrigierte die letzten sechs Seiten schweigend und in Visionen verloren. Er rollte sie raschelnd wie trockene Federn zusammen.
    Er lehnte sich auf die Armlehne (atmete leise, fühlte jedoch die Kühle des Atems nur auf der linken Seite der Oberlippe) und blickte auf das Papier auf seinem Schoß. Ich habe gerade die letzten sechs Seiten korrigiert, dachte er: Seine Oberarme waren kreuzlahm. In den Fingerknöcheln pulsierte Schmerz. Er lockerte den Griff um den Stift.
    Die Titelseite, er bemerkte es erst jetzt, lautete:
     
    MESSING
    ORCHIDEEN
    VON
     
    Er wollte lächeln, doch seine Mundmuskulatur blockte es ab.
    Mr. Newboy war in die Küche gegangen und kam mit einer dampfenden Tasse zurück.
    »Ich glaube« - das Lächeln brach durch -, »das >von< auf der Titelseite

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