Dhalgren
lassen wir besser weg.«
»Ah.« Mr. Newboy streckte das Kinn nach vorn. »Das bringt uns auf ein merkwürdiges Thema. Ich habe mit Ihrem Freund, Mr. Loufer gesprochen, und er sagte mir -«
»Ich meine, es ist okay«, sagte Kid. »Ich denke, es ist eine gute Idee, es ohne Namen zu veröffentlichen. Anonym.«
»Mr. Loufer sagte, daß Sie - ziemlich romantisch - von vielen Ihrer Freunde >The Kid< genannt werden?«
»Das würde ziemlich doof aussehen«, sagte Kid. »Gedichte von The Kid. Es ist wohl besser ohne alles.«
Irgendwo unterhalb dieser Empfindung in ihm, die ihn zum Lächeln brachte, keimte jetzt Verlegenheit auf. Er seufzte und lächelte immer noch.
Ernsthaft sagte Mr. Newboy: »Wenn Sie das wirklich meinen, werde ich es Roger sagen. Sind Sie mit dem Durchsehen fertig?«
»Yeah.«
»Das war schnell. Wie waren sie?«
»Uh, gut. Ich meine, nicht viele Fehler.«
»Das ist gut.«
»Hier.«
»Oh, sind Sie sicher, daß sie das Notizbuch nicht wiederhaben wollen?«
Es lag offen auf dem Rücken in der Mitte. Kid legte die Papiere auf den Schoß. Um das Gefühl der Verwirrung zu umgehen, klammerten sich seine Augen an die erste Zeile auf der Seite:
Lyrik, Prosa, Drama - ich bin an der Kunst des Augenblicks nur so weit interessiert, als die Prosa mit dem Leben zu tun hat; oh, nein, nicht in irgendeinem vulgären, autobiographischen Sinne, sondern eher auf der Ebene kristallklarer Entsprechung. Bedenke: Wenn ein Schriftsteller eines Tages an einem Spiegel vorbeigeht und sich nicht selber sieht sondern eine Person seiner Erfindungskraft, könnte er zwar seine geistigen Fähigkeiten in Frage stellen, obschon er nicht überrascht sein wird. Aber er hätte doch irgend etwas, auf das er sich beziehen könnte. Aber wenn er auf der anderen Seite vorbeigeht und nicht sich selber sieht, sondern den Autor, einen völlig Fremden, der ihn anstarrt, zu dem er keine Beziehung hat, was bleibt dieser armseligen Kreatur noch . . .?
Newboy sagte: »Und Sie sind jetzt ganz sicher, daß Sie nie wieder schreiben wollen? Aber seien Sie gewiß: Die Inspiration wird kommen wie einer von Rilkes Engeln. Und er wird durch die lange Himmelsreise so verwirrt sein, daß er seine Botschaft vollständig vergessen haben wird, und doch wird er sie exakt übermitteln, allein durch seine wunderbare Gegenwart -«
»Hier!« Kid reichte ihm die Fahnen und das Notizbuch. »Bitte nehmen Sie es. Bitte nehmen Sie das alles! Vielleicht ... ich meine, vielleicht wollen Sie noch etwas nachprüfen.« Er beobachtete, wie seine ausgestreckten Hände zu seinem pochenden Herz fuhren.
»Gut«, sagte Newboy. »Nein, das Notizbuch behalten Sie. Vielleicht wollen Sie es irgendwann doch wiederhaben.« Er nahm das Papier und stützte die Tasche gegen seine Hüfte. »Ich werde sie heute abend zu Roger zurückbringen.«
Die Papiere verschwanden raschelnd in der Tasche. »Ich werde Sie wahrscheinlich nicht wiedersehen. Wie lange der Druck dauern wird, weiß ich nicht. Ich würde gern das Projekt bis zum Ende betreuen.« Er drückte den letzten Schnappverschluß zu. »Sicher wird Roger mir ein Exemplar schicken - wie immer Ihr Postsystem auch hier funktionieren wird. Auf Wiedersehen.« Seine Hand kam auf ihn zu. »Es war mir wirklich ein Vergnügen, mit Ihnen zusammenzusein und mit Ihnen zu reden. Sagen Sie Ihrer kleinen Freundin auch ein >Auf Wiedersehen< von mir.«
Kid schüttelte. »Ja, Sir. Um . . . und vielen Dank.« Das Notizbuch lag auf dem Boden, eine Ecke über Kids nacktem Fuß.
Newboy ging zur Treppe.
»Auf Wiedersehen«, wiederholte Kid in das Schweigen. Newboy nickte, lächelte und ging.
Kid wartete, bis die aufstörende Erinnerung neu aufflackerte. Sein Herz beruhigte sich. Plötzlich nahm er seine und Newboys Kaffeetasse und ging in die Küche.
Sekunden nachdem er begonnen hatte, sie unter dem fließenden Wasser abzuspülen, bemerkte er, wie stark der Wasserdruck hier war. Er fuhr mit dem Zeigefinger am Rand des Porzellans entlang. Wasser zischte auf die Glasur.
Jemand schlug auf dem Klavier einen Mißakkord an.
Neugierig drehte Kid den Wasserhahn ab. Die Tassen klapperten auf dem Schrank. Als er hinüberging, quietschte eine Diele: Er hatte eigentlich lautlos sein wollen.
An der dunklen Seite des Saales stand jemand in Arbeitskleidung vor den Messinginnereien. Die orangenen Bauarbeiterschuhe und der Overall erinnerten ihn kurzfristig an die Frau auf der Leiter, die die Straßenschilder auswechselte.
Die Gestalt drehte sich um und ging
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