Dhalgren
emotionale Fragmente, ohne dazugehörige Szenen, aufgelöst durch brüchige, kleine Töne. Sie bewegte den Mund und die Stirn; die beiden Zeigefinger standen vertikal vom Silber ab (ihre Nägel waren etwas schmutzig; die Musik wunderschön), griffen dann zu. Silbern glitt es über ihre Lippen. Sie spielte, spielte weiter, spielte eine Sequenz, die sie schon einmal probiert hatte, wendete dann die Melodie einer letzten Kadenz zu, löste sie in einer unerwarteten Tonart auf und modulierte noch einmal die auflösende Akkordabfolge; ein kleiner Triller fiel bei jedem zweiten Taktschlag hinein und fiel, fiel . . .
Sie ließ die Harmonika sinken, preßte sie mit beiden Händen gegen die nackte Brust und grinste verlegen.
Nach vielleicht zehn Sekunden klatschte Denny. Er streckte die Beine aus, schlug mit den Fersen auf den Boden und lachte. »Das war aber gut! Wow! Das war schön!«
Kid lächelte, zog die nackten Zehen auf den Stiefel hinauf und schob die Schultern nach vorn; in seinem Schoß verschränkten sich seine Hände. »Yeah . . .«
Lanya grinste sie beide an und stoppte die Bänder. »Ich bin noch nicht fertig. Ihr müßt mir bei dem nächsten Teil helfen.« Sie stöpselte einen Kopfhörer ein und warf ihn Denny zu. »Laß ihn nicht fallen -«
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Fast fiel er hin.
Sie wollte Kid einen weiteren zuwerfen, doch er stand auf und nahm ihn ihr aus den Händen. Verdrehte Kabel rollten sich am Boden. »Ich werde jetzt noch eine Melodie darüberspielen. Wißt ihr noch diesen kurzen Abschnitt am Ende? Ihr müßt jetzt fünfmal dabei klatschen, jedes Mal ein bißchen lauter. Und beim letzten irgendwie rufen oder schreien.« Sie spielte den Teil noch einmal.
Denny begann, die Hände zusammenzuschlagen.
»Nur fünf Mal«, sagte sie. »Dann schreien. Ich bring euch da rein. Versuchen wir es.« Sie machten es. Denny brüllte wie eine Dampflok, wodurch Kid zu lachen begann.
»Also«, sagte Lanya. »Ihr müßt auch immer übertreiben!«
Sie versuchten es noch einmal.
»So ist es richtig. Nehmt doch die Kopfhörer, und dann spielen wir es ein.«
Die Gummiwülste legten sich dicht über Kids Ohren und dämpften die Stille des Raumes noch mehr.
»Ich spiele jetzt etwas völlig anderes.« Lanyas Stimme klang schrill und entfernt durch die Kopfhörer. »Aber ich gebe euch mit den Ellenbogen ein Zeichen.« Sie stieß mit einem nach vorn und legte sich dann den Kopfhörer um. Die Weste schwang auf. »Wir fangen« - sie drehte sich zum Tonband um. Einen Moment knackte die Stille in Kids Kopfhörer - »an.«
Kid hörte, wie das Bein von Dennys Stuhl quietschte, doch es war auf dem Band.
Dann, ein langer, gezogener Ton.
Darüber begann Lanya, als sich der Takt herauskristallisierte, zu rasseln, wie Insekten, hohe Triolen, erst hier, dann einen halben Ton höher, dann einen ganzen tiefer. Ihr Mund zuckte um das Instrument, und sie entlockte den unteren Löchern ein Heulen. Zucken: leuchtende Triolen ratterten. Die alte Melodie schwang darunter, nebenher und verflocht sich damit: bei jedem dritten Ton warf sie sie in eine neue Tonart, auf Dennys und Kids auflösendem Einsatz zu:
Denny beugte sich nach vorn. Mit aufgerissenen Augen hielt er beide Hände, als umfaßten sie eine unsichtbare Kugel. Kids Fingerspitzen kitzelten in den Handflächen . . . sein Kopf hing nach unten, um den Rhythmus zu spüren; seine Augen bewegten sich am oberen Rand, um sie zu beobachten.
Lanyas Körper schwang nach hinten; beide Ellenbogen stießen in die Seiten.
Dennys Kugel zerplatzte.
Kids Handflächen brannten. Brannten wieder. Und noch einmal. Und noch einmal - der Ton und sein Kopf erhoben sich - und wieder: Sein Gesicht explodierte von dem plötzlichen Ton und vor Freude.
Durch den Kopfhörer, unter seinem eigenen Schrei, brachte die rauhe Struktur des Schlusses mit dem kleinen, immer wiederkehrenden Triller in der eigentümlichen Tonart alles zu seinem ordentlichen Schluß.
Denny, der immer noch saß, sah aus, als würde er fast platzen. Und schrie nach ungefähr fünf Sekunden: »Whooo-pee!« und hüpfte auf seinem Stuhl auf und nieder.
»Fandet ihr's gut huh?« Lanya grinste über die Schulter und spielte das Band zurück. »Ich möchte noch eine Spur aufnehmen. Ihr müßt einfach noch einmal das gleiche machen.« Auf Dennys Stirnrunzeln hin erklärte sie: »Weil ich möchte, daß es sich anhört, als würde ein ganzer Raum voller Leute klatschen, nicht bloß ihr beide. Versucht mal, einen anderen Ton zu schreien. Ich meine, wenn
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