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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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feuchte Straße. Seine Ferse brannte auf dem kühlen Pflaster.
    »Edward, der Älteste, wohnt nicht mehr bei ihnen. Aber dieses Thema rühre ich nicht an. Besonders nicht Mary gegenüber. Es war sehr schmerzlich für sie.«
    »Oh.« Wieder nickte er.
    Sie gingen am nächsten Bordstein wieder hoch.
    »Wenn hier überhaupt nichts mehr läuft«, fragte Kidd, »warum geht dann Mr. Richards jeden Tag arbeiten?«
    »Oh, er tut nur so. Wahrscheinlich für Mary. Sie haben ja gesehen, wie sie auf Äußerlichkeiten achtet.«
    »Sie will aber, daß er daheim bleibt«, sagte Kidd. »Sie hat richtige Todesangst! - Mir war auch ganz schön mulmig zumute.«
    Madame Brown überlegte ein paar Sekunden. »Vielleicht will er einfach nur raus.« Sie zuckte die Achseln - es war hell genug, das zu sehen. »Vielleicht geht er einfach nur weg und setzt sich auf eine Parkbank.«
    »Sie meinen, er hat Angst?«
    Madame Brown lachte. »Warum nicht?« Muriel rannte auf sie zu, lief wieder weg. »Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß er sie nicht mehr mag. Das ist nicht fair von mir, ich weiß. Aber das ist eine von diesen Universalweisheiten über Eheleute, und da braucht man nicht mehr fair zu sein. Auf seine Art liebt er sie.« Muriel kam wieder angerannt und sprang an Madame Browns Hüfte hoch. Sie tätschelte ihr den Kopf. Zufrieden trollte sie sich wieder. »Nein, er muß doch irgendwohin gehen! Wahrscheinlich wirklich dorthin, wie er sagt. Ins Büro . . . ins Lager . . .« Sie lachte. »Und wir haben einfach eine zu poetische Phantasie.«
    »Ich habe mir gar nichts vorgestellt.« Doch er lächelte. »Ich habe nur gefragt.« Im Licht eines flackernden Fensters ein Stockwerk über ihnen sah er durch dünnen Rauch, daß sie ebenfalls lächelte.
    Weiter vorn bellte Muriel.
    Und was habe ich mir für eine Mühe gegeben, das Ungeordnete als Chaos zu interpretieren? Diese Drohung: Man muß nur warten. Ich ducke mich unter dem rauchigen Begriff. Die Straßen verlieren ihre Ränder, die Gedanken fransen aus. Was habe ich gemacht, als ich mich in diesem Notizbuch, das mir nicht gehört, verewigt habe? Gibt mir die Offenbarung, daß, wenn man es nicht mit Worten tun kann, man es vielleicht auf andere, sprachliche Weise schafft, das Recht auf Verletzungen, mit einer Frau und ihrem Hund spazierenzugehen, Recht auf Schmerz? Eher größere Zweifel: Daß diese Arbeit die Fixpunkte im Gehirn auflöst; daß, obwohl das Leben von der Idee her wichtig ist, das Bewußtsein doch ein unvollkommenes Mittel ist, damit fertig zu werden. Wenn man denkt, kämpft man gegen die silbernen Schichten an, gegen die verkohlten Ablenkungen, das Gefühl, daß sich irgendwie ein Daumen aufs rechte Auge drückt. Diese Erschöpfung schmilzt das, was bindet, löst auf, was fließt.
    Madame Brown öffnete ihm die Bartür.
    Kidd ging mit der Banknote in der Hand an dem Vinylteddy vorbei. Noch während er überlegte, ob er ihr etwas anbieten sollte, kam jemand kreischend von der Bar herüber; Madame Brown schrie zurück, beide stolperten fort. Er setzte sich an die Ecke der Theke. Die Leute, deren Rücken er auf den Hockern gesehen hatte, gewannen Gesichter, doch kein Tak, keine Lanya war dabei. Er sah hinauf zu dem leeren Käfig, als der Barmann, dessen aufgekrempelte Ärmel die Hälse von tätowierten Leoparden umschnürten, fragte: »Du trinkst doch sicher Bier, oder?«
    »Yeah«, nickte er überrascht.
    Die Flasche knallte auf die zerkratzte Theke. »Komm schon! Steck's wieder ein, Kid!«
    »Oh.« Erstaunt steckte er das Geld zurück in die Tasche. »Danke.«
    Der Barmann schnalzte unter seinem Schnurrbart mit der Zunge. »Was glaubst du denn, wo du bist, Mann?« Er schüttelte den Kopf und ging weiter.
    Seine Hand war zur Brusttasche gefahren, um den Schreiber klicken zu lassen. Er runzelte die Stirn, hielt innerlich über einer Wendung inne: Er öffnete das Notizbuch, hielt den Stift schreibbereit, vertiefte sich.
    Hatte er das jemals zuvor schon gemacht? fragte er sich. Wenn er schrieb, wenn er wirklich dabei war, war es, als hätte er nie etwas anderes getan. Wenn er aber stoppte, wenn auch nur für einen Moment, war es nicht nur so, als hätte er es noch nie gemacht, es schien, daß er nie sicher sein konnte, es jemals wieder zu tun.
    Seine Gedanken suchten nach einer Darstellung absoluter Wut, und seine Hand kritzelte und strich durch und fing wieder an mit der Umsetzung dieser Vision. Ihre Augen lösten ein Dutzend Worte aus. Er wählte das mit der größten

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