Dhalgren
man sollte sie dorthin bringen, wo man ihnen hilft. Aber wenn man sich einfach so gehenläßt, braucht man vielleicht besser jemanden, der einem sagt, wo's lang geht. Ein paar harte Schläge tun niemandem weh, und wer wäre dazu besser geeignet als die eigenen Eltern? Ich habe natürlich niemals meine Hand gegen meine eigenen Kinder erhoben.« Mr. Richards hob die Handflächen bis in Schulterhöhe. »Stimmt's, Mary? Zumindest nicht, seit sie groß sind.«
»Du bist ein sehr guter Vater, Arthur.« Mrs. Richards kam mit drei weiteren Dessertgläsern aus der Küche, die sie gegeneinandergepreßt vor sich hertrug. »Niemand hat etwas dagegen gesagt.«
»Ihr Kinder könnt schon froh sein, daß eure Eltern so vernünftig sind.« Mr. Richards nickte einmal zu Bobbys (leerem) Stuhl hinüber, dann zu June, die sich gerade wieder setzte, nachdem sie die Teller in die Küche getragen hatte. Sie stellte eine geschliffene Glasschüssel mit etwas Weißem darin auf das weiße Tischtuch.
»Bitte schön«, sagte Mrs. Richards und reichte Kidd die Früchte.
In dem langstieligen Dessertglas tauchte gerade eine gelbe Halbkugel aus dem Saft auf.
Kidd blickte sie an. Sein Gesicht war entspannt; er merkte, daß die Lippen ein wenig geöffnet waren, schloß sie.
Unter dem Tisch umklammerte er das Tischbein so fest, daß schließlich ein Schmerzstrahl an seinem Unterarm entlangzuckte. Er ließ los, atmete aus und sagte: »Danke.«
»Es ist nichts Besonderes«, meinte Mrs. Richards. »Aber Obst hat eine Menge Vitamine und so. Ich habe etwas Sahne gemacht - Schlagcreme. Richtige Sahne mag ich sehr gern, doch wir konnten nur dieses hier bekommen. Ich wollte noch Mandelaroma daranrühren, weil ich dachte, das schmeckt gut zu Pfirsichen. Aber ich hatte keins mehr. Auch keine Vanille. Also habe ich Ahornsirup genommen. Arthur, möchtest du etwas? Edna?«
»Himmel, nein.« Madame Brown wies die angebotene Schüssel mit einer Handbewegung zurück. »Ich bin fett genug.«
»Kidd, Sie?«
Zwischen den Kerzen kam die glitzernde Schüssel auf ihn zu. Er zwinkerte, bewegte langsam den Kiefer unter seiner Haut, mit dem Vorhaben, ein Lächeln aufzubauen.
Er löffelte sich einen weißen Berg - vor den Flammen war der Rand hellgrün.
Madame Brown sah ihm zu; er blinzelte mit den Augen. Ihre Miene veränderte sich. Lächeln? Er fragte sich, wie sein Gesichtsausdruck war. Es sollte ebenfalls ein Lächeln sein, fühlte sich aber nicht so an.
Er begrub den Pfirsich.
Weiße Spiralen durchzogen den Saft.
»Wißt ihr, was ich richtig schön fände?« fragte Mrs. Richards. »Wenn Kidd uns eines seiner Gedichte vorlesen würde.«
Er stopfte einen halben Pfirsich in den Mund und sagte »nein«, schluckte ihn herunter und fügte »danke«, hinzu. »Mir ist nicht danach.« Er war müde.
June sagte: »Kidd, Sie essen mit dem Sahnelöffel.«
Er antwortete: »Oh . . .«
Mrs. Richards sagte: »Oh, ist schon gut. Wir hatten doch alle schon genommen.«
»Ich aber noch nicht«, sagte Mr. Richards.
Kidd blickte auf seinen Nachtisch (ein halber Pfirisch, zerteilt zwischen Saft und Creme), blickte auf seinen Löffel (das Muster zog sich bis zum Löffel hinauf, der cremegestreift war), auf die Schüssel (über dem Kristallschliff waren Löcher in den weißen Haufen gegraben).
»Nein, ist schon gut«, sagte Mr. Richards. Glitzernd bewegte sich die Schüssel aus dem Kerzenlicht. »Ich nehme einfach meinen Löffel hier. Jeder macht mal Fehler. Bobby passiert das dauernd.«
Kidd widmete sich wieder seinem Pfirsich. An seinen Knöcheln war Schlagsahne. Zwei Finger klebten vor Saft. Seine Haut war immer noch schrumpelig von dem Bad. Die abgenagten und brüchigen Kuppen sahen so aus, wie er sich Lepra vorstellte.
Arthur Richards sagte irgend etwas.
Madame Brown antwortete irgend etwas.
Bobby lief durch das Zimmer. Mrs. Richards brüllte ihn an.
Arthur Richards sagte wieder etwas.
Die Creme, die den kleinen Teich unten im Glas durchzog, ließ schließlich nur noch Glas sehen. »Ich glaube, ich muß bald gehen.« Er blickte hoch.
Der Goldknoten von Mr. Richards Krawatte hing drei Zoll tiefer unter seinem Kinn.
Hatte er ihn gelockert, als Kidd nicht hingesehen hatte? Oder hatte er es einfach vergessen? »Ich will noch jemanden treffen, bevor es zu spät wird. Außerdem . . .«Er zuckte die Achseln. »Ich möchte morgen früh anfangen.«
»Ist es schon so spät?« Mrs. Richards sah enttäuscht aus.
»Nun, Sie haben wahrscheinlich nach diesem Möbelrücken viel
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