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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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eine sehr lobende Besprechung der Neuauflage meiner frühen Gedichte in einem Ihrer bekannteren literarischen Magazine. Sie stammte von einer Dame, die bissig zu nennen mir die Bescheidenheit verbietet, wenn auch nur, weil sie mich so großzügig lobte. Sie war die erste in den Staaten, die über mich schrieb. Doch schon früher hatte ich ihre Schriften so lebhaft verfolgt, wie sonst nur Dichtung. Ein guter Kritiker von einigem Rang darf eine Menge Absurdes sagen. Das Kriterium ist, wenn man eine Reihe von Artikeln gelesen hat, ob man sich eher an die Intelligenz und die Schärfe erinnert oder an das Absurde. Ich hatte sie nie kennengelernt. Ich war entzückt, es war einzigartig, ein Vergnügen, für das allein ich in meiner Phantasie wohl Schriftsteller geworden war, als ich aus dem Flugzeug stieg, im Flughafen drei Magazine kaufte und im Taxi zum Hotel ihren Artikel über mich fand. Und im Hotel selber fand ich einen Brief von ihr, nicht an der Rezeption, nein, unter meiner Zimmertür: Sie war gerade auf der Durchreise in New York, wohnte in einem Hotel zwei Blocks weiter und wollte wissen, ob ich sie am Abend auf einen Drink treffen wollte, falls mich der Flug nicht zu sehr ermüdet hatte. Ich war entzückt. Ich war dankbar. Was wären wir für wertvolle Wesen, wenn uns derartige Aufmerksamkeiten nicht so gefielen! Es war ein angenehmer Abend, aus der Beziehung wurde während der folgenden Jahre eine lohnende Freundschaft. Es ist schon selten, wenn Leute, die man aus beruflichen Gründen einander vorstellt, Freunde werden. Doch ein paar Tage später, als ich wieder einen ihrer Artikel las, bemerkte ich folgendes: Die überlegte Betrachtungsweise in ihren Schriften resultierte teilweise aus dem Vokabular. Sie kennen den Zweizeiler von Pope: >When Ajax strives some rock's vast weight/ The line too labours and the words move slow.< (Wenn Ajax schwere Felsenbrocken schleppt/ läuft auch die Zeile holprig, und Worte fallen schwer.) Sie hatte die Neigung, auf ein Wort mit harter Endung das neue ebenfalls mit hartem Konsonanten beginnen zu lassen. Ich hatte mir einen überlegten und leichten Tonfall vorgestellt, der, selbst als es sich als falsch herausstellte, ihre geschriebenen Äußerungen mit Würde erfüllte. Mit dem gleichen Vokabular, mit dem sie schreibt, das merkte ich an jenem Abend, spricht sie extrem schnell, angeregt und enthusiastisch. Sicher war ihre Intelligenz so scharf, wie ich sie immer eingeschätzt hatte. Doch obwohl sie zu meinem engsten Freundeskreisen zählt, habe ich jegliches Vergnügen verloren, etwas von ihr zu lesen. Selbst wenn ich das noch einmal lese, was mir zuvor großes intellektuelles Vergnügen verschafft hat, laufen die Worte zu ihrer Stimmlage zusammen und jegliche Überlegtheit und Vorsicht verschwindet aus dem Geschriebenen. Ich kann lediglich dankbar sein, daß wir bei jedem Treffen bis zum Morgengrauen zusammenhocken und diskutieren und Texte interpretieren, so daß ich immer noch von ihrer erstaunlichen analytischen Fähigkeit profitieren kann.« Wieder nahm er einen Schluck. »Wie kann ich Ihnen also sagen, ob Ihre Gedichte gut sind? Wir haben uns kennengelernt. Ich habe Ihre Stimme gehört. Und ich habe nicht einmal jenen Sumpf von Emotionen zur Sprache gebracht, den einige Leute albern erweise objektives Urteil nennen, sondern nur dessen kritische Verdrehung, die daraus folgt, daß ich Ihre Stimme gehört habe.« Newboy wartete, lächelte.
    »Erzählen Sie diese Geschichte jedem, der Sie bittet, seine Gedichte zu lesen?«
    »Ah.« Newboy hob den Finger. »Ich habe Sie gefragt, ob ich sie vielleicht lesen dürfte. Es ist eine Geschichte, die ich schon einigen Leuten erzählt habe, die mich um ein Urteil gebeten haben.« Newboy schüttelte das abgeschmolzene Eis. »Jeder kennt jeden. Da haben Sie recht.« Er nickte. »Ich frage mich manchmal, ob der Zweck der Künstlergemeinde nicht darin liegt, einen interessierten gesellschaftlichen Hintergrund zu schaffen, der seine Mitglieder gleichzeitig versichert, daß niemand, gleich mit welchen Ehren oder Reputation, auch nur die geringste Ahnung vom Wert oder Unwert seines Werks hat.«
    Kidd trank sein Bier, ärgerte sich über die Langatmigkeit, war aber neugierig auf den Mann, der das aushielt.
    »Die ästhetische Gleichung«, überlegte Newboy. »Der Künstler erlebt innerlich etwas, aus dem sich ein Gedicht formt, ein Gemälde, ein Musikstück. Das Publikum unterwirft sich dem Werk, das bei ihm eine innere Erfahrung hervorruft.

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