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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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Historisch gesehen ist es jedoch eine sehr neue, um nicht zu sagen vulgäre Idee, daß die Erfahrung des Publikums identisch mit der des Künstlers ist oder zumindest etwas damit zu tun hat. Diese Idee entstammt der überindustrialisierten Gesellschaft, die verlernt hat, was Zauberei ist -«
    »Hier bist du!« Lanya griff nach seinem Arm. »Du siehst so frisch, sauber und geputzt aus, daß ich dich fast nicht erkannt hätte!«
    Er zog sie an die Schulter. »Das ist Ernest Newboy«, froh über diese Unterbrechung. »Das ist meine Freundin Lanya.«
    Sie sah überrascht aus. »Kidd hat mir erzählt, Sie haben ihm oben bei Calkins geholfen?« Vor Kidds Brust schüttelten sie sich die Hände.
    »Da wohne ich. Aber heute abend hat man mich rausgelassen.«
    »Ich war tagelang da, aber ich habe, glaube ich, keinen Abend freibekommen.«
    Newboy lachte. »Das gehört wohl dazu, ja. Und wo wohnen Sie jetzt?«
    »Wir leben im Park. Sehen Sie mich nicht so erstaunt an. Das ist praktisch jetzt eine genauso feine Adresse wie bei Roger.«
    »Wirklich? Leben Sie beide zusammen?«
    »Wir beide leben allein in einem kleinen Teil. Wir treffen andere Leute, wenn wir hungrig sind. Bis jetzt hat uns noch niemand besucht. Aber das ist auch besser so.«
    Newboy lachte wieder.
    Kidd sah, wie der Dichter über ihren Scherz lachte.
    »Ich würde mich nicht trauen, Sie in Ihrem Versteck aufzustöbern. Aber Sie müssen mich mal irgendwann nachmittags besuchen.« Zu Kidd: »Dann bringen Sie Ihre Gedichte mit.«
    »Klar.« Kidd sah, wie Lanya entzückt schwieg. »Wann?«
    »Wenn Roger das nächste Mal sagt, daß es Dienstag ist. Kommen Sie doch dann. Ich verspreche, daß die alten Probleme nicht wieder auftauchen.«
    Er nickte heftig. »Gut.«
    Mr. Newboy lächelte breit. »Dann werde ich Sie also erwarten.« Immer noch lächelnd nickte er, wandte sich um und ging.
    »Mach den Mund zu.« Lanya zwinkerte ihm zu. »Oh, ist schon gut. Hier gibt's keine Fliegen.« Dann drückte sie seine Hand.
    Neon flackerte im Käfig auf. Aus einer Box krächzte Musik.
    »Oh, schnell, laß uns gehen.«
    Er ging mit ihr, drehte sich noch mal um: Newboys blauer Serge-Rücken war von beiden Seiten von Leder gerahmt, doch er vermochte nicht zu sagen, ob der Dichter redete oder einfach nur dastand.
    »Was hast du den ganzen Tag gemacht?« fragte er auf der kühlen Straße.
    Sie rückte achselzuckend näher. »Mit Milly rumgehangen. Ich habe viel gefrühstückt. Diese Woche kocht Jommy, deshalb hatte ich mehr, als ich wollte. Heute morgen habe ich John bei einem Arbeitsprojekt beraten. Habe jemandem beim Mah-Jongh zugeguckt. Nach dem Lunch habe ich mich verdrückt und Harmonika gespielt. Dann bin ich zurück zum Abendessen. Jommy ist süß, aber langweilig. Wie war dein Job?«
    »Komisch.« Er zog sie näher zu sich. Sie fegte mit ihren kleinen Fingerknöcheln über seine riesigen, nachdenklich, vornübergebeugt, nahm sie fort. »Yeah, sie sind verrückt. Hey, Newboy hat uns nach da oben eingeladen, huh?« Sie rieb ihren Kopf an seiner Schulter und lachte vielleicht.
    Unter ihrer Hand bewegte sich sein Arm. »Willst du das hier jetzt wieder?«
    »Oh, yeah. Danke«, und nahm die Orchidee, stoppte, um die längste Klinge in die Gürtelschlaufe zu hängen. Dann gingen sie weiter.
    Er forderte keinen Namen mehr. Was bedeutete dieses Vertrauen? In ihrer Entspanntheit und Schweigsamkeit, frei von der Mühe, zu fordern und zu suchen, gibt es die Illusion eines Zentrums. Ich bin gewappnet mit den vorausgeahnten Omen des Desasters im Bewußtsein, dem erwarteten Versagen, der Prüfung. Ist sie hier frei oder mit komplexer Intimität befangen, die sich mir entzieht? Oder ich ziehe mich vor ihr zurück, weil mir der Name fehlt. Eine Schlinge, Ecke, Abschluß dreht sich hier durch die Ohrtrompete. Die geäußerte Furcht schwindet, während wir sie zu ermessen suchen, haben aber schließlich nur den ständig gleichen Winkel der Verwirrung, die Häufigkeit erstaunter Trennungen in Händen.
    Im Halbdunkel - oder besser: Vierfünfteldunkel - sahen die Löwen naß aus. Beim Vorbeigehen fuhren die Knöchel der rechten Hand an den Steinflanken entlang: Es war genauso warm, wie Lanyas Handgelenk, das die Knöchel der Linken berührte.
    Wie findet sie bloß den Weg? fragte er sich, doch dreißig Schritte weiter merkte er, daß er die letzte dunkle Kehre selber vorausgeahnt hatte.
    Ferner Feuerschein warf ein Filigran durch die Blätter. Lanya hielt sie beiseite und sagte: »Hi.«
    Ein

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