DHAMPIR - Blutsverrat
gewöhnlicher Gast gab.
Es erleichterte ihn zu sehen, dass bei den Wächtern noch immer große Unruhe herrschte. Im hinteren Aufenthaltsraum saß die Adlige auf der Kante einer Holzbank, deren rotes Polster schon recht abgenutzt wirkte. Sie hielt sich ein weißes Taschentuch an den Hals. Ein schlanker Mann mit rötlichem Haar, zehn oder fünfzehn Jahre älter als sie, saß wie ein Beschützer neben ihr und wandte sich mit aufgebrachten Fragen an die Wächter.
»Was soll das heißen, ›er lief weg‹? Warum seid ihr ihm nicht gefolgt?«
WelstielschobsichanzweiWächternvorbeiundtratvordasPaar.
»Ich bitte um Verzeihung. Ist mit der Dame alles in Ordnung? Ich habe selbst versucht, den Unhold zu verfolgen, aber in den dunklen Gassen verlor ich ihn aus den Augen.«
Die Frau und ihr Beschützer musterten ihn überrascht. Ein Wächter trat mit der Absicht vor, ihn zurückzudrängen. Welstiel hob die leeren Hände und deutete eine knappe, aber respektvolle Verbeugung an.
»Wenn ich mich vorstellen dar f … Ich bin Viscount Andraso. Ich wollte mich gerade in mein Zimmer zurückziehen, als ich die Dame schreien hörte. Als ich die Gasse erreichte, waren Eure Männer schon bei ihr, und ich sah das Geschöpf fliehen.«
»Geschöpf?« Der rothaarige Adlige blinzelte, erhob sich und nickte den knappen Gruß eines höher stehenden Adligen. »Ich bin Baron Emêl Milea. Dies ist Lady Hedí Progae. Ihr bezeichnet den Angreifer als ›Geschöpf‹?«
»Es war ein Mann«, sagte Lady Progae ruhig und bewegte das Tuch an ihrem Hals. »Ein Wahnsinniger.«
Das schulterlange Haar umrahmte ihr blasses Gesicht wie schwarze Seide. Die Nase war so klein und schmal, dass sich Welstiel fragte, wie sie damit atmen konnte. Nachdenklich saß sie da, und je länger sie nachdachte, desto mehr Zweifel kamen ihr.
»E r … seine Zähn e … «, begann sie. »Er war so stark.«
Ein anderer Wächter, jung und sehr beunruhigt, wandte sich an den Baron. »Das stimmt. Ich habe ihn gesehen, bevor er Tolka gegen mich stieß. Er war sehr sonderbar, mit Zähnen wie ein Tier.«
Ein untersetzter, schmuddeliger Wächter schnaufte abfällig und schob den jungen Mann beiseite.
»Fangnichtschonwiederan,Alexi«,brummteer.»MachLadyProgaekeineAngst.«ErrichteteeinenabschätzendenBlickaufWelstiel.»DankefürEurenVersuchzuhelfen,aberwirkommenschonzurecht.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Welstiel und stellte fest, dass Lady Progae keineswegs verängstigt wirkte. »Und ich bemitleide jeden Eurer Männer, der es mit diesem Wesen zu tun bekommt. Habt Ihr noch nie einen Untoten gejag t … einen Vampir?«
»Wie bitte?«, entfuhr es dem Untersetzten verblüfft.
»Was redet Ihr da für einen Unsinn?« Baron Milea sah auf die Lady hinab, doch deren Blick galt Welstiel.
»Ihr wisst, dass ich recht habe«, sagte Welstiel. »Die Wächter haben das Gesicht der Kreatur gesehen und ihre Kraft ebenso zu spüren bekommen wie die Lady. Und wie sonst könnte man die Verletzung an ihrem Hals erklären? Sagt mir, Lady Progae: Wie fühlten sich die Berührungen an? Kalt?«
»Es ist eine Winternacht«, brummte Tolka, doch bei dem jungen Alexi wuchs die Unruhe.
Hedí Progae schwieg einige Sekunden. »Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber ich muss zugeben, dass der Angreifer sehr unheimlich war.«
»Was ist mit dem anderen?«, fragte Tolka. »Der große Bursche, der gegen ihn kämpfte und sich als Erster auf und davon machte.«
»Er hat versucht, mir zu helfen«, sagte Lady Progae rasch. »Jemand, der zufällig in der Nähe war, nehme ich an, und der einen Schrecken bekam, als er all die Wächter sah. Konzentriert eure Bemühungen auf de n … Verrückten und sorgt dafür, dass er nicht noch mehr Unheil anrichten kann.«
»Sie werden ihn nicht finden«, warf Welstiel ein und schüttelte langsam den Kopf. »Nur ein Jäger der Untoten, ein Dhampir, ist in der Lage, ihn ausfindig zu machen.«
Stille folgte. Überall erzählte man sich Geschichten über Untote, aber sie galten als Aberglaube. Einige von Welstiels Zuhörern hatten vielleicht einmal von einem Dhampir gehört und verstanden, was er meinte. Welstiel wartete und gab den anderen Gelegenheit, über die Bedeutung seiner Worte nachzudenken. Ein dritter Wächter, der in der Tür gestanden hatte, kam mit einem Seufzen näher.
»Sosehr es mir auch widerstrebt, diesem jungen Spund zuzustimme n … « Sein Nicken galt Alexi. »Ich habe die Zähne ebenfalls gesehen, und es waren nicht die eines
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