DHAMPIR - Blutsverrat
sprach. Andererseits: Dabei gab es zu viel Gelegenheit für Verrat. »In Sgäiles Worten gab es versteckte Hinweise, und wenn er recht hatte, muss ich wissen, ob auch Gavril überlebt hat. Deshalb bin ich hier. Hast du gehört, dass meine Mutter noch lebt?«
Byrd schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung! Wenn mir etwas zu Ohren gekommen wäre, hätte ich nicht gezöger t … «
»Vielleicht bist du zu beschäftigt gewesen«, sagte Leesil mit einem kurzen Blick auf die Zeichnungen. Er hoffte, dass Byrds Überraschung anhielt und ihn redselig machte.
Byrds Stimme gewann an Schärfe. »Hast du auf dem Weg hierher bemerkt, in welchem Zustand sich das Land und seine Bewohner befinden?«
»Ja.«
»Würdest du den Leuten helfen, wenn du könntest?«
»Das ist eine sinnlose Frage.«
»Würdest du?«
Leesil kam sich plötzlich wie ein Narr vor, der die ganze Zeit über schwer von Begriff gewesen war. Allmählich wurde ihm das eine oder andere von Byrds Plänen klar.
Die Person, von der Byrd die Details für seine Zeichnungen bekam, konnte nicht planmäßig vorgehen und fand immer dann Einzelheiten heraus, wenn sie die Chance erhielt, entsprechende Informationen zu sammeln. Woraus folgte: Byrds Informant gehörte nicht zu Darmouths Vertrauten und bekam nur gelegentlich die Möglichkeit, sich in der Festung umzusehen. Und wenn Byrd auf eine so unzuverlässige Quelle angewiesen wa r … Daraus ließ sich der Schluss ziehen, dass Darmouth noch vorsichtiger war als damals, dass er niemandem traute. Es bedeutete auch, dass der Informant verzweifelt und vielleicht fanatisch war, eine Person, die sich der Illusion eines Aufstands hingegeben hatt e – Byrds Illusion.
Leesil kannte solche Persone n – in seiner Jugend hatte er viele von ihnen verraten. Zwar basierten seine Überlegungen zum größten Teil auf Spekulationen, aber es gab noch einen Hinweis, über den sie bereits gesprochen hatten: der Anmaglâhk .
»Wie lange dauert es noch, bis du bereit bist, Darmouth zu töten?«, fragte Leesil.
Eigentlich war es ihm gleich, denn es brachte ihn bei seiner Suche nicht weiter. Je mehr Fragen Byrd ignorierte, desto mehr bestärkte er Leesil dadurch in seinem Verdacht. Byrd würde jeden ausnutzen, um sein Ziel zu erreichen, auch den Sohn eines alten Freundes.
»Ich weiß nicht mehr über deine Eltern, als ich dir schon gesagt habe«, antwortete Byrd und klang so, als hätte Leesil nie nach Darmouth gefragt.
»Glaubst du, nach Darmouths Tod wird sich alles ändern?«, fuhr Leesil fort und gab damit dem alten Freund seines Vaters erneut Gelegenheit, ihm mehr anzuvertrauen. »Wie viele Offiziere und sogenannte Adlige warten nur darauf, seinen Platz einzunehmen? Auf diese Weise kam Darmouths Großvater an die Macht.«
Byrd ging noch immer nicht auf Leesils Fragen ein und schien sein eigenes Gespräch zu führen. »Hör nicht auf, deine Eltern zu suchen, nur weil ich nicht mehr weiß. Was Nein’a und Gavril betrifft, habe ich nichts als Vermutungen. Vielleicht bieten dir die Zeichnungen den einen oder anderen Anhaltspunkt.«
Er stand auf.
Leesil saß mit geradem Rücken da, die Füße flach auf dem Boden, und drehte das Stilett in der Hand. Er hob die Klinge, bis sie sich dicht unter der Tischkante befand. Ein Schlag mit der freien Hand würde das Messer flach auf den Tisch legen und dort festhalten, wenn Byrd danach zu greifen versuchte. Und dann das Stilet t … unterm Kinn in den Hals, in die Schädelbasis.
Byrd wandte sich ab, nahm den Mantel von der Theke und schritt zur Treppe.
»Ich gehe zu Bett, und das solltest du ebenfalls tun. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich die Zeichnungen brauche. Lass sie besser nicht herumliegen.«
Leesil sah dem Mann nach, den er fast getötet hätte. Er wusste nur wenig mehr als vorher, und sein Argwohn blieb praktisch unverändert, und doch hatte er im letzten Moment gezögert.
Vielleicht sollte er Magiere, Wynn und Chap nehmen und mit ihnen die Reise zu den Bergen fortsetzen, um dort nach einem Weg ins Reich der Elfen zu suchen. Und wenn Sgäile gelogen hatte? Er würde seine Gefährten in eine unbekannte Region führen, in der Menschen nicht willkommen waren, obwohl seine Mutter vielleicht längst tot war. Und wenn sein Vater noch lebte, irgendwo unter der Festung?
Byrd verschwand am oberen Ende der Treppe.
Der Moment war verstrichen, und Leesil sah auf das im Tisch steckende Messer und die unvollständigen Zeichnungen von Darmouths Burg. Unschlüssigkeit verwandelte sich
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