Dhampir - Seelendieb
neuerlichen Hieb und starrte dann ungläubig auf den Stumpf.
Leesil trat nach Rattenjunges anderem Knie, und zwar mit aller Kraft. Erneut knackte es, noch lauter als beim ersten Mal. Er folgte der Bewegung des Beins, als der Fuß den Boden berührte, verlagerte sein Gewicht und schwang die zweite Klinge in Hüfthöhe. Rattenjunge wich hastig zwei Schritte zurück.
Er taumelte und wankte jetzt, zeigte aber keine Anzeichen von Schmerz. Sein Gesicht verriet nur zornige Ungläubigkeit. Die untere Hälfte seines Kasacks war zerfetzt, und schwarzes Blut quoll aus dem Bauch.
Leesil hob die linke Klinge zur Abwehr und hielt die rechte tief und bereit. Rattenjunge sprang vor und streckte die eine Hand, die ihm noch geblieben war.
Er war so schnell, dass sich Leesil nicht rechtzeitig ducken konnte. Dünne, kalte Finger schlossen sich um seinen Hals, und spitze Fingernägel bohrten sich ihm tief in die Haut.
Der Griff lockerte sich kurz, wurde dann schmerzhaft fest und lockerte sich erneut.
Leesil rang nach Atem und wusste, was geschah. Der kleine Mistkerl verlor Blut und wurde dadurch schwächer. Die Kraft der Untoten war also doch nicht unerschöpflich.
Rattenjunge öffnete den Mund und neigte den Kopf nach vorn. Leesil sah scharfe Zähne, die nach seinem Gesicht schnappten, und stieß die rechte Klinge nach oben. Ihre Spitze bohrte sich durch Rattenjunges Unterkiefer in den Mund. Der Untote erzitterte kurz, aber dieser kurze Moment genügt e – Leesil machte von der linken Klinge Gebrauch.
SieschnitthalbdurchdenUnterarmderHand,dieihnamHalsgepackthatte,undsofortlöstensichdieFingervonderKehle.
Der Untote schwang den Stumpf des rechten Arms, und Leesil duckte sich, gelangte dadurch an Rattenjunges Seite. Er ließ die rechte Klinge fallen, schloss die freie Hand um den linken Unterarm und schwang die ihm noch verbliebene Waffe.
Rattenjunge drehte den Kopf, und schwarze Flüssigkeit tropfte aus dem Mund.
Leesil schlug zu und legte sein ganzes Gewicht hinter den Schlag. Die Klinge traf den Hals des kleinen Untoten, schnitt durch Fleisch und Knochen.
Der kopflose Körper platschte ins Wasser.
Es platschte erneut, als Leesil keuchend auf die Knie sank. Die Kälte des Wasser nahm er überhaupt nicht wah r – wilde Freude erfüllte ihn. Es war jetzt still im Tunnel, abgesehen vom leisen Plätschern, mit dem kleine Wellen an den Gehsteig schlugen.
Er hatte gesiegt. Doch die Fehler seiner Vergangenheit waren damit nur zum Teil wiedergutgemacht.
Erschöpfung lastete wie ein schweres Gewicht auf ihm, und eine Weile kniete er dort im Wasser, mit gesenktem Kopf, und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Schließlich nahm er die Klinge, die er fallen gelassen hatte, drehte sich um, hielt nach den Köpfen Ausschau und bemerkte Chap neben der Fackel auf dem Gehsteig. Beide Köpfe lagen direkt vor ihm, ebenso die Tasche. Leesil sammelte seine Trophäen ein, fühlte dabei keinen Triumph, nur Erleichterung.
Er hatte die Tasche gerade am Gürtel befestigt, als Chap fortsprang. Er lief durch den Tunnel, dorthin, wo sie in die Kanalisation hinabgeklettert waren. Leesil folgte, ohne die Entscheidung des Hunds infrage zu stellen.
Sie mussten Magiere finden.
20
Magiere musterte Welstiel. Er sah genauso aus wie in Miiska, ruhig und selbstsicher. Ihr Blick strich über die schwarzen Lederhandschuhe und den Mantel, und in Gedanken hörte sie noch einmal seine Stimme.
Einen Moment, wenn du gestattest.
Einen Moment, wenn Ihr gestatte t …
Lord Au’shiyns totes Gesicht erschien vor Magieres innerem Auge. Sein Mörder hatte ihm gegenüber fast die gleichen Worte benutzt.
»D u … «, hauchte sie und konnte es kaum fassen. »Deine Stimm e … deine Hände.«
Er wirkte gelassen, unerschütterlich und distanziert, gab sich noch immer als der geheimnisvolle Mentor, den er in Miiska gespielt hatte. Magiere suchte nach dem Brennen in ihr, das sie immer auf die Präsenz eines Untoten hinwies, aber sie spürte nichts dergleichen.
»Bist du Rattenjunge hierher gefolgt, oder folgte er dir?«, fragte sie.
Welstiel runzelte die Stirn und schien die Frage für töricht zu halten.
»Ich bin keiner von ihnen«, sagte er. »Ich habe dich auf das vorbereitet, was vor dir liegt. Ohne einen Anstoß hättest du nicht gegen diese Geschöpfe gekämpft. Sieh nur, was jetzt aus dir geworden is t – so viel mehr seit deinem Erwachen in Miiska.«
Was meinte er mit »Anstoß«? Der Beginn von Übelkeit gesellte sich Magieres Verwirrung hinzu.
»Du
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