Dhampir - Seelendieb
gesehen?«
»Nur dein Gesicht, die Laternen, den Weg, abe r … Alles schien von innen heraus zu glühen, sodass ich es deutlicher als sonst sehen konnte. Wieso?«
Leesil wandte den Blick von ihr ab.
»Deine Augen. Sie waren vollkommen schwarz, als hätten sich die Pupillen ausgedehnt und alles andere verschlungen.«
Eine Schwere erfasste Magieres Gliedmaßen. Sie war so müde, dass sie sich nur verkriechen und ewig schlafen wollte.
»Ich dachte, in dieser Hinsicht wäre alles geklärt«, sagte sie. »Wie viele seltsame Aspekte von mir gibt es noch?«
Leesil nahm sie am Arm und führte sie zum Tor an der Straße.
»Wir wissen, dass die Edlen Toten im Dunkeln sehen können. In gewisser Weise ergibt es einen Sinn, dass du ebenfalls dazu imstande bist. Es ist Nachtsicht, Magiere. Das Volk meiner Mutter verfügt über eine ähnliche Fähigkeit, und ich ebenfalls, zum Teil. Und was die Dinge betrifft, die du mit den Augen des Mörders gesehen has t … «
»Warum jetzt?«, fragte Magiere. »Warum hatte ich nicht schon vorher Visionen?«
Leesil schüttelte den Kopf. »Vielleicht liegt es am Kleid des Mädchens.«
»Warum geschah es dann nicht im Schlafzimmer, als ich es zum ersten Mal berührte?« Magiere hob das zusammengeknüllte Kleid.
»Ich weiß nicht. Vielleich t … « Leesil zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es einfach nicht.«
»Ich möchte nicht, dass sich so etwas wiederholt.«
Magiere sah über die Straße. Das Licht von Öllampen fiel aufs Kopfsteinpflaste r – die Laternen hingen an Pfählen oder von Halterungen an der Wand der Verteidigungsmauer. Nichts regte sich, und die Nacht war leer, abgesehen von Chap, der vor dem Tor auf der Straße saß und geduldig wartete.
»Ich habe genug davon«, bekräftigte Magiere. »Wenn so etwas geschieht, fühle ich mich jedes Mal wie beschmutzt.«
»Gib mir das.« Leesil nahm das Kleid von ihr entgegen. »Wir wollen nicht riskieren, dass es noch einmal losgeht, wie auch immer es geschah. Wir gehen zu Fuß, bis wir eine Kutsche finden, die uns zum Gasthof bringen kann.«
Magiere schloss die Hand ums Heft ihres Falchions, so fest, als wäre es der letzte Halt am Rand einer tiefen Schlucht. Wem versuchten sie etwas vorzumachen? Sie war eine ehemalige Betrügerin und jetzige Tavernenwirtin, Leesil ein ehemaliger Dieb und Spieler, der zu viel Wein trank. Ja, sie konnten kämpfen, sogar gegen Untote. Das hatten sie in Miiska bewiesen. Aber hier lag der Fall anders.
»Sie hatten recht mit dem Mord«, sagte Magiere und dachte entsetzt daran, was sie gesehen hatte: ihre Han d – seine Han d – an Chesnas zerrissener Kehle. »Als er das Mädchen umbrachte, ging es ihm nicht darum, das Blut zu trinken. Man könnte meinen, er wollte ein Zeichen setzen. Was geht hier vor?«
»Ich hole uns eine Kutsche«, sagte Leesil. »Und dann bringe ich dich fort von hier.«
Am nächsten Morgen, nach einem leichten Frühstück aus Haferbrei und Apfelmus, brachte eine gemietete Kutsche sie zum Verteidigungswall des Innenkreises, und dort zur jüngst erbauten Kaserne der Sträzhy-shlyahketné, der königlichen Garde in Bela. Magiere nahm zur Kenntnis, dass Leesil irgendwann in der vergangenen Nacht sein Hemd in Ordnung gebracht hatte. Beim Frühstück hatte er sie nach ihrer Vision gefragt. Es waren unangenehme Erinnerungen, und sie scheute davor zurück, über dieses Erlebnis nachzudenken.
Sie wussten, dass die Edlen Toten über unterschiedliche Fähigkeiten verfügten. Jetzt musste Magiere feststellen, dass das auch für ihren Dhampir-Zustand galt.
Sie veränderte sich. Zum Beispiel fühlte sie die Sonne. An diesem Morgen war sie fast genau bei ihrem Aufgang erwacht, obwohl die Vorhänge am Fenster zugezogen gewesen waren.
Selbst in den besseren Vierteln gingen die Menschen ihren täglichen Angelegenheiten nach, aber dort sah man weniger Straßenhändler und Hausierer. Die meisten Läden in diesen Teilen der Stadt boten Luxusartikel für die Privilegierten an. Neben einem Tuchhändler, der Mäntel und weite Umhänge aus Satin und erlesenen Pelzen anbot, befand sich eine Weinhandlung, aus dunklem Holz errichtet und mit weiß getünchten Wänden.
Sie kamen an weiteren Geschäften vorbei, an einer Bäckerei mit Tischen voller Leckereien und einem Wagenbauer, der Kutschen und Karren verkaufte und auch reparierte. Zuerst wunderte sich Magiere, als sie dieses Viertel erreichten, aber es ergab durchaus einen Sinn, dass die königliche Garde nicht bei den Reichen und
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