Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
bringen konnte.
Es hatte sie angewidert, das war ihr deutlich anzusehen gewesen. Und schlimmer noch: Es nützte überhaupt nichts.
Blut war zugleich süß und salzig, doch es ernährte ihn nicht. Es fühlte sich gut an, wenn es aus der zerfetzten Kehle eines Opfers spritzte und durch die eigene Kehle rann, aber es war nur ein Übertragungsmedium.
Das hatte Chane von Welstiel gelernt, und es handelte sich um eine weitere wichtige Wahrheit der Edlen Toten: Wenn das Blut aus einem Opfer strömte, konnte ein hungriger Vampir dessen Lebenskraft aufnehmen. Abgesehen von Welstiels Schale gab es für Chane nur eine Quelle dieser Kraft: die Lebenden.
Dieses Blut war so tot wie die Ziege, von der es stammte.
Die Schüssel wurde schwer in Chanes Händen. Er fühlte sich gedemütigt von Wynns naivem Versuch, ihm zu helfen, ihm »Nahrung« zu bringen. So etwas wie Selbsthass war ihm fremd, aber er fühlte sich plötzlich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, in Wynns Nähe zu sein, und den Erfordernissen seines wahren Wesens.
Er konnte ihr nicht sagen, warum ihre Bemühungen vergeblich waren. Sollte sie glauben, dass sie ihm geholfen hatte. Aber dies durfte sich nicht wiederholen; er würde sich selbst um seine Bedürfnisse kümmern.
Chane stellte die Schüssel hinters Bett, damit man sie nicht sah, und verließ das Zimmer. Wynns Tür auf der anderen Seite des Flurs stand einen Spaltbreit offen, und Chane drückte sie weiter auf. Die junge Weise kehrte ihm den Rücken zu und überprüfte ihre Sachen.
»Du solltest besser packen«, sagte sie leise.
Schatten lag auf dem Bett und beobachtete Chane aufmerksam.
»Wohin gehen wir?«, fragte er.
»Durch den Berg.«
3
Wynn wanderte an großen Masten vorbei. Rohkristalle dampften in der Nacht und schufen Lachen aus mattem orangefarbenen Licht auf der Straße. Die junge Weise schwieg, richtete kein Wort an Chane oder Schatten. Als sie sich der Haltestation von Cheku’ûn, Buchtseite, näherten, schoben einige Fischhändler ihre leeren Karren in den Lastenaufzug, offenbar mit der Absicht, nach unten zurückzukehren. Doch das war nicht der Weg, den Wynn nehmen wollte.
Sie dachte an Klöpfels vage Wegbeschreibungen in Hinsicht auf die Eisenborten. Wynn hatte sich immer vorgestellt, dass Domin Hochturm aus einer angesehenen Familie stammte, vielleicht sogar mit einer Verbindung zur Konklave der fünf Stämme. Woher stammte diese Vorstellung? Ging sie auf seinen Stolz zurück, auf sein arrogantes Gebaren? Jetzt hatte sie erfahren, dass Hochturms nächste Verwandte in der »Unterseite« lebten, unter der Oberflächengemeinschaft der Siedlung, sogar noch unter den oberen Tunneln und Höhlen. Wie wenig Wynn doch von ihrem alten Lehrer wusste.
Sie ging schneller.
Direkt hinter der Haltestation sah sie einen großen Torbogen, durch den man ins Innere des Berges gelangte. Ein mattes Glühen drang dort hervor und erreichte die Rückseite des Kurbelhauses, zusammen mit einem dumpfen Brummen – man hätte meinen können, dass der Eingang zu einem gewaltigen Schmelzofen führte.
»Das ist der Hauptweg nach Buchtseite«, sagte Wynn.
Chane ging rechts von ihr, und Schatten lief weiter vorn, als wüsste sie, wohin sie unterwegs waren.
»Bist du schon einmal im Berg gewesen?«, fragte Chane.
»Nein, aber Domin Tilswith hat mir von den Trams erzählt. Sie stellen die schnellste Verbindung zwischen den Siedlungen dar, abgesehen von den Aufzügen zum Berggipfel und nach Seattâsh, Alt-Seatt. Aber wir durchqueren den ganzen Berg bis nach Chemarré, Meerseite.«
Chane blieb stehen, und daraufhin verharrte auch Wynn.
»Selbst wenn wir in gerader Linie unterwegs sind … Das dauert Tage … Nächte«, sagte er und blickte zum offenen Maul des Bergs.
»Nein«, widersprach die junge Weise und klopfte auf ihr Bein, um Schatten zurückzurufen. »Wir erreichen Meerseite noch vor Tagesanbruch.«
Chane musterte sie skeptisch. »Der Ort ist fünfzehn oder vielleicht sogar zwanzig Meilen entfernt. Nichts bewegt sich so schnell.«
Wynn wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte nur Domin Tilswiths knappe Beschreibungen und seine Behauptung, dass die Trams der Zwerge das schnellste Transportmittel zwischen den Siedlungen waren.
»Du wirst sehen«, sagte sie. »Es würde länger dauern, in der Kälte zu stehen und es zu erklären.«
Das war eine Übertreibung, zumal sie die Trams nie mit eigenen Augen gesehen hatte.
Schatten war unruhig und wich jedes Mal zur Seite, wenn jemand zu nahe
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