Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
unter dem ersten Wagen hervor, und das gelbe Glühen gewann eine solche Intensität, dass es in Wynns Augen schmerzte.
Metall knirschte auf Metall, als die Wagen losrollten und innerhalb weniger Sekunden so schnell wurden wie ein trabendes Pferd. Die Tram, mit dem hellen Licht an ihrer Spitze, verschwand im Tunnel, und Wynn hörte, wie sich ihre Räder auf den Schienen noch schneller drehten. Dann verschwand sie, und die junge Weise stellte fest, dass sie mit offenem Mund starrte.
Chane sah der Tram ebenfalls mit großen Augen nach.
»Eine arkane Maschine«, flüsterte er. »Und die Säulenlichter auf der Straße und in der Höhle. Beschäftigen sich Zwerge mit Zauberei und Magie?«
Wynn suchte nach Worten. »Etwas in der Art. Domin Tilswith hat auf die angeborene Verbindung der Zwerge mit dem Element Erde hingewiesen. Aber seine Erklärungen waren eher vage. Ich glaube, er verstand es selbst nicht ganz.«
Wynn merkte, dass Schatten keinen Ton von sich gab und zitterte. Sie streichelte den Rücken der Hündin und dachte plötzlich daran, welche Tortur diese Reise für Schatten darstellen musste: in Höhlen und Tunneln unterwegs zu sein, mithilfe von sonderbaren Transportmitteln, ohne Tageslicht, umgeben von vielen Leuten …
»Wir müssen die andere Tram nehmen«, sagte Wynn und deutete zum zweiten Bahnsteig. »Shirvêsh Klöpfel glaubt, dass Hochturms Familie unter Meerseite wohnt. Wenn wir sie finden können, gelingt es uns vielleicht, seinen Bruder zu lokalisieren, und dann die Steingänger und die Texte.«
Sie gingen zum anderen Bahnsteig. Mit seinen langen Schritten ließ Chane Wynn schnell hinter sich, trat über die Bahnsteigrampe, reckte den Hals und hielt nach dem ersten Wagen Ausschau, der aber schon in eine Dampfwolke gehüllt war.
Ein anderer Zwerg, vielleicht ein Stationsvorsteher, schritt über den Bahnsteig und forderte die Passagiere auf, in die Wagen zu steigen. In der Tram nach Meerseite gab es nur wenig mehr Fahrgäste als in der nach Spitzseite.
»Schnell«, sagte Wynn, übernahm die Führung und kletterte in den nächsten Wagen.
Eine junge Zwergin wies den Passagieren Sitzplätze an. Sie bedachte Schatten mit einem langen Blick, erhob aber keine Einwände gegen die Präsenz des Tiers.
»Wie lange dauert es bis nach Chemarré?«, fragte Wynn auf Zwergisch.
Die stämmige junge Frau legte die Hände an die Hüften und antwortete mit verblüffend tiefer Stimme: »Kein Zwischenhalt bei dieser Fahrt, also am Ende von Nachtsommer.«
Dann ging sie durch die vordere Tür zum nächsten Wagen.
Wynn verstand, warum so viele Verkäufer in der großen Markthöhle Essen und Getränke anboten. Es war ein ganzes Stück nach Einbruch der Dunkelheit, schon nach der Mitte von Nachtfrühling und der zweiten Glocke. Die Reise würde ein Viertel der Nacht dauern.
Die junge Weise wählte einen Platz in der Mitte des Wagens.
Schatten duckte sich und versuchte, unter die Sitzbank zu kriechen, was ihr aber nur halb gelang.
Wynn langte nach unten und kraulte ihren Rücken. »Es ist alles in Ordnung.«
Chane verstaute ihre Sachen und setzte sich auf die nächste Bank.
»Hast du für die Fahrt bezahlt?«, fragte er.
»Fahrten durch den Berg sind kostenlos«, sagte Wynn. »Die Stämme und Clans sind stolz darauf, der Öffentlichkeit Transportmittel zur Verfügung zu stellen, die die Siedlungen miteinander verbinden.«
Chane nickte knapp und beobachtete, wie letzte Reisende einstiegen, alles Zwerge. Wynn und er waren die einzigen Menschen. Dann beugte er sich übers Geländer und sah nach vorn.
Wynn wusste, dass sein Blick erneut dem ersten Wagen galt, der »Maschine«, wie er ihn genannt hatte. Aber von hier aus konnte er sie nicht sehen.
»Findest du allmählich Gefallen an der Zwergenkultur?«, fragte sie.
Er lehnte sich zurück, und das Staunen war bereits aus seinen Augen verschwunden. Vielleicht konnte es sich jemand wie Chane nicht erlauben, dass ihm etwas gefiel.
»Sie enthält Ordnung, selbst in ihrem gelegentlichen Chaos«, sagte er. »Das weiß ich zu schätzen.« Er zögerte und schien zu überlegen. »Gibt es bei den Zwergen Polizisten oder Wächter?«
Wynn zog argwöhnisch die Stirn kraus.
»Nicht in dem Sinne«, antwortete sie. »Jeder Stamm hat eine Kriegerkaste, vergleichbar mit dem Militär bei Menschen, aber sie haben keinen Krieg mehr geführt seit … ich weiß nicht wann. Bei einigen Clans gibt es so etwas wie Gendarme, doch es gibt kaum Kriminalität. Um Gerechtigkeit kümmert
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