Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
Sau’ilahk mit kurzem Dämmern seine Position, blieb dem Thänæ dabei jedes Mal ein Stück voraus. Schließlich betrat der Zwerg einen Seitentunnel, und Sau’ilahk sprang weit in ihn hinein, um auch diesmal vor dem Thänæ zu bleiben. Die ganze Zeit über behielt er den Zwerg im Auge und wartete erneut, bis sich schließlich die letzten Kriecher und Schleimer von ihm verabschiedeten.
Daraufhin war Hammer-Hirsch allein in den stillen, leeren Nebentunneln unter Meerseite, und Sau’ilahk erwartete ihn in der Nähe einer Kreuzung. Er wusste, wie schwer es sein konnte, einen Zwerg zu überwältigen, aber in diesem Fall musste er ihn bezwingen, bevor er um Hilfe schreien konnte. In diesen Tunneln waren Geräusche selbst aus großer Entfernung zu hören.
Sau’ilahk gab einer Hand genug Substanz, um das Licht der nächsten Laterne zu löschen. Dann begann er rasch mit der ersten Beschwörung und stellte sich die Formen und Zeichen nicht mitten in der Luft vor, sondern an der Tunnelwand. Er brauchte einen mächtigen Bann.
Vor dem inneren Auge erschien ein scharlachrot glühender Kreis auf dem rauen Stein, groß genug, ihn zu umfassen, wenn er darauf zutrat. Ein zweiter, bernsteinfarbener Kreis bildete sich im Innern des ersten, gefolgt von einem auf der Spitze stehenden Dreieck. Sau’ilahk hob einen von schwarzem Stoff umhüllten Finger, zeichnete damit Symbole und Sigillen zwischen die Formen – jedes von ihnen hatte eine helle Phosphoreszenz, die allerdings nur er sehen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis sich das Licht im Tunnel zu trüben schien, nicht überall, sondern nur beim großen Siegel. Es saugte den Schein der nahen Laternen auf.
Sau’ilahk schwebte zur Wand, ins Zentrum seines großen Bann-Zaubers.
Die Beschwörung der Elemente und die Konstruktion auch nur des einfachsten Elementendieners erforderte jahrelange gefährliche Übung. Das Verbannen oder Wegschicken eines Dieners war oft nicht mehr als eine Freigabe, wenn man ihn nicht mehr brauchte. Der Umgang mit der natürlichen Welt war eine ganz andere Angelegenheit. Ein Bann oder ein Verbannen in Bezug auf die natürliche Welt war sehr schwer, immer nur vorübergehend und nichts für Dilettanten.
Die Laternen vor und hinter dem großen Siegel leuchteten zwar noch immer, aber ihr Licht ließ die Zeichen und das, was sich in ihnen befand, unangetastet. Sau’ilahk stand unsichtbar in einem dunklen Loch, das alles Licht fraß.
Es kostete ihn Kraft und machte ihn schwächer. Doch es blieb nur noch eine Beschwörung, als er die Schritte des Thänæ hörte.
Als Geist verfügte Sau’ilahk nicht über eine echte »Stimme«. Selbst dann, wenn er für kurze Zeit materialisierte, blieb er untot und atmete nicht. Wenn er sprach, so benutzte er dabei Beschwörungen und versetzte Luft in Schwingung. Jetzt brauchte er eine wahre Stimme, die für Hammer-Hirsch vertraut klingen musste.
Sau’ilahk drückte die Handballen aneinander, die eine Hand unten und die andere über ihr, die Finger gestreckt. Dann sank er, umgeben von Dunkelheit, halb in die Wand und gab seinen Händen Festigkeit. Imaginäre glühende Symbole wirbelten durcheinander. Er wölbte die Hände, während sich die Fingerspitzen noch immer berührten, und die hellen Symbole glitten zwischen sie, wie von einem Mund gehaucht.
Sau’ilahk fühlte ein Zittern zwischen den Händen, und es wurde ein dumpfes vibrierendes Summen daraus.
Hammer-Hirsch trat in den Tunnel und wandte sich in die andere Richtung.
Sau’ilahk krümmte die Finger wie Krallen und öffnete die Hände wie die Schalen einer Muschel.
Der schmerzerfüllte Schrei einer Frau hallte durch den Tunnel.
Hammer-Hirsch blieb stehen und drehte sich um.
Mit großen Augen blickte er durch den Tunnel, erst in die eine Richtung und dann in die andere. Er sah nichts, langte aber über die Schulter und griff nach seiner Streitaxt, ohne sie vom Rücken zu ziehen.
Sau’ilahk drehte die Hände und damit auch die Luft zwischen ihnen.
Ein Wimmern kam aus der Dunkelheit, gefolgt von einer vertrauten, entsetzten Stimme.
»Bitte … helft … mir! «
Hammer-Hirsch zog die Axt und hielt sie mit beiden Händen. Er trat zwei schnelle Schritte vor, verharrte dann und runzelte die Stirn.
»Wer ist da?«, knurrte er.
Sau’ilahks Zufriedenheit nahm zu. Diese Reaktion war vorhersehbar. Erneut drehte er die Hände und ahmte einmal mehr die vertraute Stimme nach.
»Fiáh’our … Hammer-Hirsch? Ich bin’s, Wynn … Wynn Hygeorht!«
Der Thänæ
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