Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
Getreide etwa – musste von draußen hereingebracht werden, manchmal einen weiten Weg. Und der Hang des Berges war bei Meerseite ebenso steil wie bei Buchtseite.
Chane drehte sich um Kreis. »Der Lärm wird schlimmer.«
Er schien wacher zu sein, was darauf hindeutete, dass draußen der Abend dämmerte. Dann bemerkte Wynn weitere Tunnelöffnungen in den Wänden der großen Höhle. Als sich der Tag seinem Ende entgegenneigte, kamen mehr Leute herein. Zwerge umringten die Händler und feilschten um ihre Waren. Die Wände schienen all die Stimmen zu verstärken und zum Markt zurückzuwerfen, und dadurch entstand eine unglaubliche Kakofonie.
Hunderte von Zwergen stapften umher und handelten mit den Verkäufern. Wynn sah auch einige Menschen, aber nicht so viele wie in Buchtseite. Trotz der Öffnung weit oben in der Decke hingen Dutzende von unterschiedlichen, wie miteinander wettstreitenden Gerüchen in der Luft.
Wynn hörte Schattens Jaulen und legte ihr die Hand auf den Nacken. Die Hündin drehte immer wieder den Kopf, von den vielen Leuten verwirrt und verunsichert.
Splitter hatte ihr Gaffen schnell satt. »Hier entlang«, sagte sie und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Chane winkte Wynn und Schatten nach vorn.
Vielleicht wollte er den Abschluss bilden oder sie im Auge behalten. Wynn eilte weiter und murmelte immer wieder »Entschuldigung, bitte um Verzeihung«, als sie sich bemühte, mit Splitter Schritt zu halten. Dann legte ihr Chane plötzlich von hinten die Hand auf die Schulter.
Wynn wollte langsamer werden, aber Chane schob sie nach vorn.
»Splitter lügt«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. »Sie weiß mehr über Erz-Lockens Kommen und Gehen.«
»Was?«
»Geh weiter. Sieh nicht zurück.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie.
»Vertrau mir«, hauchte Chane. »Kannst du Schatten dazu bringen, Splitters Erinnerungen zu lesen, auf deine Anweisung hin?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht …«
»Versuch es«, drängte Chane. »Aber erst nachdem ich Splitter ›Wohin jetzt?‹ gefragt habe. Diese Worte soll Schatten abwarten und Splitters Erinnerungen beobachten, sobald ich sie gesprochen habe.«
Wynn begriff, was er plante.
Wenn er eine solche Frage an Splitter richtete, stiegen in ihr vielleicht Erinnerungen auf, die den Weg betrafen – wenn sie wirklich mehr wusste als ihre Mutter. Aber wie konnte Chane so sicher sein, dass Splitter log? Und wie sollte Wynn dies alles Schatten erklären, wenn sie sich allein mit Erinnerungsbildern verständigen konnten?
Wynn grub ihre Finger ins Nackenfell der Hündin.
»Ach, Schatten.« Sie seufzte, und Schatten ging langsamer. »Wenn du doch nur gesprochene Worte verstehen würdest, wie dein Vater. Einige wenige Worte würden genügen.«
Sie konzentrierte sich auf besonders einfache Erinnerungen, sah vor ihrem inneren Auge erst Schatten und hörte dann noch einmal die Worte, die Chane eben gesprochen hatte.
Wohin jetzt?
Wieder ließ sie ein Bild von Schatten erscheinen und ließ weitere Erinnerungen folgen, die Schatten anderen Personen gestohlen hatte. Sie wiederholte das mehrmals, zusammen mit den Worten: Wohin jetzt?
Immer wieder zogen die Bilder an Wynns innerem Auge vorbei, bis sie aufgrund der Anstrengung Kopfschmerzen bekam. Sie sah nach unten und stellte fest, dass Schatten die Ohren aufgerichtet hatte, als lauschte sie ihr. Die junge Weise empfing ein geistiges Echo aus Bildern und Geräuschen.
Zuerst sah sie Splitter, dann eine schwindelerregend schnelle Folge von Erinnerungen, die andere Personen betrafen, und schließlich etwas, das nach einer verzerrten Stimme klang.
Worte hörte Wynn nicht. Ein weiteres Bild stieg in ihr auf.
Chane stand im kleinen Hinterzimmer der Eisenborten-Schmiede. Seine Lippen bewegten sich nicht – immerhin hatte er dort nichts gesagt –, aber dieses Bild verband sich mit dem Klang seiner krächzenden Stimme.
Wohin jetzt?
Erleichterung durchströmte Wynn, obwohl sie noch immer nicht ganz sicher war, ob Schatten auch wirklich verstanden hatte. Wiederholte die Hündin nur das, was sie selbst empfangen hatte, und bat sie auf diese Weise um eine Erklärung? Wie schwierig die Erinnerungssprache doch war!
Sie kamen an Verkaufsständen vorbei, die Kartoffeln, Rüben und getrocknete Früchte anboten, dann an anderen mit Töpfen, Schalen und Schüsseln. Weiter vorn führte ein Tunnel hinaus aus dem Markt, aber er schien nicht Splitters Ziel zu sein.
Das Gedränge wurde immer dichter.
Wynn warf einen Blick
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