Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
draußen.«
Er ging zur Tür und öffnete sie, aber Wynn rührte sich nicht von der Stelle.
»Nun?«, fragte der Domin. »Willst du mitkommen oder nicht? Den Übersetzungen und dem Kodex wachsen sicher keine Beine, auf dass sie zu dir kommen können.«
»Aber … «, begann sie.
Mit der Andeutung eines Lächelns wandte sich il’Sänke um.
»Niemand weiß, dass wir beide gestern Abend unterwegs gewesen sind. Zieh dich jetzt an!«
Er trat in den Flur und schloss die Tür. Es war Wynn gleichgültig, wie er dies angestellt hatte. Rasch griff sie nach ihrem Umhang und streifte ihn über, und als ihr Kopf oben durch die Halsöffnung kam, stand die junge Majay-hì vor ihr.
Die Hündin neigte den Kopf, und nur ein Ohr war aufgestellt. Aus großen Augen sah sie Wynn an, als versuchte sie herauszufinden, was die Weise vorhatte.
Ein Hund, eine Majay-hì, Chaps Tochter … Bezeichnungen, die Wynn irgendwie nicht richtig erschienen, denn sie wusste, dass ein vernunftbegabtes Wesen unter dem dunkelgrauen Fell steckte.
Den An’Cróan-Elfen der Fernländer widerstrebte es, anderen vernunftbegabten Geschöpfen einen Namen aufzuzwingen. Selbst ihre Kinder unterzogen sich dem »Namensritual« und suchten dazu die Geister ihrer Vorfahren auf. Die Vision, die sie dort hatten, entschied über den Namen, den sie fortan tragen würden. Dennoch …
»Wie soll ich dich nennen?«, fragte Wynn, obwohl sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde.
Als sie den elfischen Federkiel, das Tintenfläschchen und ein Tagebuch nahm und in ihrem Rucksack verstaute, dachte sie an die anderen Hunde, die sie – abgesehen von Chap und Seerose – gekannt hatte. Sie schlang sich den Riemen des Rucksacks über die Schulter, und als sie nach der Türklinke griff, entstanden plötzlich Bilder in ihrem Geist.
Sie zeigten Chap allein, dann zusammen mit Seerose – ihre Köpfe berührten sich – , und schließlich eine verschwommene Erinnerung von dem alten Wolfshund.
»Ich weiß, wer deine Eltern sind«, sagte Wynn. »Es hilft nicht.«
Sie war nicht sicher, was jene Bilder bedeuteten. Als sie die Tür öffnete, lief die junge Majay-hì vor ihr in den Flur.
»Wynn … was soll das bedeuten?«, fragte il’Sänke mit einem warnenden Unterton in der Stimme. Er sah auf Chaps Tochter hinab.
»Sie kommt mit mir«, sagte Wynn.
»Und wie willst du erklären, dass du trotz der Ausgangssperre plötzlich einen Hund hast? Willst du vielleicht, dass die anderen von unserem gestrigen Ausflug erfahren?«
Das erinnerte Wynn an ihre Frage, wie es il’Sänke gelungen war, alles geheim zu halten.
Sie ging mit der Hündin durch den Flur und gab il’Sänke keine Gelegenheit zu weiteren Einwänden. Chap und Seerose hatten ihre Tochter geschickt. Wynn stellte die Klugheit dieser Entscheidung infrage, aber sie war fest entschlossen, die junge Majay-hì bei sich zu behalten.
Il’Sänke schwieg, als er ihr folgte.
Wynn wusste, dass sie ihm dankbar sein sollte – immerhin hatte er sie gerettet.
Sie senkte die Hand, zögerte aber, die Hündin zu berühren. Hatte die kurze Zeit genügt, um Vertrauen zwischen ihr und Chaps Tochter zu schaffen?
Die Hündin schob ihren Kopf unter die Hand, und Wynns Finger strichen über pelzige Ohren.
Sie dachte an Chane, der am vergangenen Abend ebenfalls beim Ort des Geschehens gewesen war. Für einen Moment fühlte sie sich versucht, il’Sänke nach ihm zu fragen, aber sie entschied sich dagegen. Als sie die Tür zum Hof öffnete, warf sie einen Blick über die Schulter.
»Wie hast du mich zurückgebracht?«, fragte Wynn und sah auf die junge Majay-hì hinab, als sie zur großen Doppeltür gingen. »Und wie hast du die Hündin veranlasst, dir zu folgen?«
»Sie war sehr beharrlich«, antwortete il’Sänke. »Und ich war so sehr damit beschäftigt, dich zu tragen, dass ich keine Zeit dafür erübrigen konnte, sie loszuwerden. Mein erster Gedanke war, dich ins Hospiz zu bringen, aber du schienst nicht in Lebensgefahr zu sein. Deshalb habe ich euch beide in dein Zimmer gebracht, bevor jemand dein Fehlen bemerkte.«
Ja, aber wie war er an den Wächtern vorbeigekommen? Darauf hatte il’Sänke nicht hingewiesen, woraus Wynn schloss, dass er keine Auskunft darüber geben wollte.
Wynn zog einen Flügel der Doppeltür auf und trat ins Hauptgebäude. Der Flur, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, brachte sie zum Gemeinschaftsraum, und dort kam es zur erwarteten Reaktion. Erstaunte Blicke trafen Wynn, als man sie
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