Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
der Kapuze zu verschwinden schien. Bevor Wynn etwas sagen konnte, erklang erneut die scharfe Stimme des Domins.
»Kein geschaffenes Artefakt darf mit Arroganz benutzt werden oder indem man mit der Hand wedelt und irgendeine Beschwörung murmelt. Solcher Unsinn bleibt Kindermärchen und dem Aberglauben von Bauern vorbehalten! Ein Thaumaturg fühlt die Verbindungen der fünf Elemente in der physischen Welt. Er löst sich von ihnen, wenn er Einfluss darauf nimmt, bleibt außerhalb des Gespinstes der Dinge. Fehlt ihm die Distanz, so bekommt er selbst die Auswirkungen zu spüren, die er … «
»Das hast du mir schon gesagt«, unterbrach Wynn den Domin, als ihr Ärger stärker wurde als ihre Furcht.
»Dann vergiss es nicht!«, zischte il’Sänke. »Es sei denn, du magst es, wenn elementares Feuer in dir brennt! Wenn du meine Anweisungen noch einmal missachtest, bin ich mit dir fertig!«
Wynn schwieg. Il’Sänkes Zorn erwuchs ebenso aus Sorge wie aus Missbilligung.
Die junge Majay-hì knurrte erneut, schlich an der Wand entlang und näherte sich Wynn.
»Ich verstehe.« Il’Sänke seufzte und beobachtete das Tier. »Einer deiner Elfenhunde.«
Wynn sah ihn erstaunt an. Woher wusste er das?
Der Domin schien ihren Blick zu spüren, straffte die Schultern und behielt weiterhin die Hündin im Auge.
»Ich habe deine Tagebücher gelesen, wie alle anderen, die am Übersetzungsprojekt mitwirken«, sagte er.
Wynn war fast erleichtert. Derzeit stand ihr nicht der Sinne nach weiteren Mysterien. Sie dachte an ihre Tagebücher und fragte sich, ob sie sie jemals wiedersehen würde.
»Setz dich«, sagte il’Sänke.
Die junge Majay-hì blieb stehen.
»Ich meine dich«, fügte der Domin hinzu und sah Wynn an.
Sie sank auf die Bettkante. Il’Sänke näherte sich, legte ihr die Hand auf die Stirn und schloss die Augen. Es folgte ein Moment der Stille, und weitere Fragen stiegen in Wynn auf.
Sie war nicht die Einzige, die gegen Skyions Ausgehverbot verstoßen hatte. Auch il’Sänke war am vergangenen Abend außerhalb des Gildengeländes unterwegs gewesen. Wie hatte er sie gefunden? Und hatte er Chane gesehen?
Mit einem leisen Stöhnen hob Domin il’Sänke die Lider. »Es geht dir gut genug. Die restlichen Nachwirkungen, an denen du noch leidest, verschwinden in ein, zwei Tagen.«
Wynn sah ihm in die braunen Augen. Gut genug wofür? Seine rechte Braue wölbte sich nach oben, als er ihren Blick erwiderte.
»Ja?«, fragte er.
»Du hast sie gesehen«, sagte Wynn in einem fast herausfordernden Ton. »Die schwarze Gestalt auf der Straße, die sich so leise bewegte. Ich bin nicht verrückt!«
»Das habe ich nie behauptet.« Il’Sänke presste kurz die Lippen zusammen und beantwortete die Frage mit einem Nicken. »Ich habe sie gesehen, ja. Nur für einen Moment, vor dem Licht des Kristalls.«
»Weißt du, was es mit ihr auf sich hat?«, fragte Wynn. »Rodian hat gesehen, wie sie durch die Wand des Skriptoriums kam, und er glaubt, dass es sich um einen bösartigen Magier handelt. Vielleicht stimmt das, aber es steckt noch mehr dahinter. Er sucht eine vernünftige Erklärung für die Königlichen.«
Der Domin wandte sich ab. Er sah zu Boden und faltete die Hände im Schoß.
»Ich bin mir nicht sicher. Die Fähigkeiten des Unbekannten sind besorgniserregend, und in dieser Hinsicht könnte der Hauptmann teilweise recht haben. Aber es erklärt nicht den seltsamen Tod der jungen Weisen.«
Wynns Gedanken rasten. Il’Sänke räumte nicht nur ein, dass der Mörder ein Untoter sein konnte; er schien auch mehr über ihn zu wissen.
»Selbst in Sagen und Legenden habe ich nie von einem Magier gehört, der durch Wände gehen konnte«, sagte sie. »Ganz zu schweigen von einem, der einen Schwerthieb hinnehmen kann, ohne verletzt zu werden, und dann einem Mann die Brust aufreißt.«
»Ja, ja.« Il’Sänke hob die Hand und unterbrach Wynn. »Solche Fähigkeiten erscheinen sehr ungewöhnlich, aber auf der Grundlage einiger weniger Beobachtungen will ich keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Er zögerte, und seine Züge verhärteten sich.
»Kein Wort zu irgendjemandem davon, Wynn. Keine weiteren wilden Gerüchte ohne konkrete Anhaltspunkte. Dadurch könntest du den Zugang zu den übersetzten Texten verlieren.«
Wynns Anspannung wuchs.
»Und ich vertraue darauf, dass du bei dem, was du in den Texten findest, ebenso diskret bist«, fuhr il’Sänke fort. »Dieses Wissen muss geschützt bleiben. Zieh dich jetzt an. Ich warte
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