Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
wieder sah sie in den Übersetzungen nach, auf der Suche nach den fehlenden Passagen.
In den dunklen Katakomben, ohne Fenster und abgeschirmt vom Läuten der Stadtglocken, wusste sie nicht, wie viel Zeit verging, aber schließlich verschwammen die Buchstaben und Symbole vor ihren Augen. Sie machte eine Pause, setzte die Arbeit dann fort.
Der Kodex nannte Seiten, an denen gearbeitet wurde und die in den Sammlungen auf dem Tisch fehlten. Wynn kehrte zur letzten Seite vor dem fehlenden Text zurück.
Und sie fand etwas, das sie innerlich frösteln ließ.
Die Seite präsentierte viele Punkte, da ein großer Teil des Originals unleserlich war, obwohl die Worte gezählt werden konnten. Außerdem wies die rechte Spalte Lücken auf, wo es bisher nicht möglich gewesen war, den Originaltext zu übersetzen. Soweit Wynn feststellen konnte, war das Original in einem oder mehreren verlorenen Dialekten des Sumanischen geschrieben. In der Übersetzung gab es einen Begriff, der sich mehrmals wiederholte.
In’Ahtäben – die Kinder.
Welche Kinder? Wessen Kinder? Noch dazu schien es sich um eine Art Titel zu handeln. Verwundert las Wynn die drei Seiten nach dem fehlenden Text und hielt inne, als sie einen weiteren seltsamen Ausdruck in einem unvollständigen Satz fand.
… die Nachtstimme … … geliebt … von den Kindern.
Wynn nahm sich die linke Spalte vor, die den Originaltext in Begaine-Symbolen wiedergab.
… in’Sa’umar … … Hkàbêv … myi in’Ahtäben.
Zuerst schien es nicht der gleiche Satz zu sein, aber sie las hier altes Sumanisch. Von Magiere und Chap hatte Wynn den Namen des alten Feindes gehört, wie er in modernem Sumanisch genannt wurde, und er ließ sich ebenso übersetzen: Il’Samar, die Nachtstimme … in’Sa’umar, die Nachtstimme.
Die gleiche Vorsilbe wie in in’Ahtäben bedeutete, dass es sich um einen Titel handelte: die Kinder. Und es gab einen weiteren Titel für den Feind: Geliebter.
Wynn las nicht über Kinder in dem Sinne. Gemeint war eine Gruppe, die dem Feind mit den vielen Namen gedient hatte. Sie begann mit der Suche nach anderen Namen oder etwas, das einen Hinweis darauf geben konnte, wer diese Kinder sein mochten. Auf der gleichen Seite entdeckte sie in der linken Spalte zwei Begaine-Symbole für einen Namen, den sie nie vergessen würde.
Li’kän.
Die weiße Untote hatte einen Blechzylinder mit einer Schriftrolle für sie in der Bibliothek des eisigen Schlosses ausgewählt – ebenjenen Blechzylinder, den sie von Chane bekommen hatte. Und Wynn fand zwei weitere Namen neben dem von Li’kän.
Volyno und Häs’saun.
Sie merkte erst, dass ihre Hände zitterten, als sich die oberen Ecken des Blattes bewegten. Diese Namen hatte sie gesehen, mit Li’käns dunklem Blut an die Schlosswände geschrieben. Einst hatte es in dem Schloss drei untote Wächter gegeben, aber beim Eintreffen von Wynn und ihren Gefährten war nur Li’kän übrig gewesen.
Wynn las weiter und fand einen Hinweis, aus dem hervorging, dass Volyno diese Passage geschrieben hatte. Als sie zur nächsten Seite blätterte, musste sie feststellen, dass laut Paginierung drei Seiten fehlten.
Sie hielt inne, überprüfte ihre Notizen und sah im Kodex nach, um festzustellen, wann der fehlende Text für die Transkription zu einem Skriptorium geschickt worden war. Schließlich fand sie das Datum, und es bestätigte ihre Befürchtungen.
Am Abend jenes Tages waren Jeremy und Elias gestorben.
Der fehlende Text hatte sich in dem Folianten befunden, den die schwarze Gestalt gestohlen und für den sie gemordet hatte.
Wynn wandte sich wieder den losen Blättern zu, las weiter und entdeckte zwei weitere Titel beziehungsweise Bezeichnungen.
Der eine lautete »die Ehrfürchtigen«, der andere »Fresser der Stille«.
Als sie mit den Texten nach Calm Seatt zurückgekehrt war, hatte man Domin il’Sänke gebeten, noch etwas länger zu bleiben und bei der Übersetzung der alten sumanischen Dialekte zu helfen. Daher vermutete Wynn, dass diese Begriffe von ihm stammen. Sie las weiter und stieß auf mehr Namen.
Jeyretan, Fäzabid, Memaneh, Creif, Uhmgadâ, Sau’ilahk …
An manchen Stellen wurde auf Personen Bezug genommen, aber an anderen stieß Wynn auf Lücken oder Anmerkungen: »Zeichen oder Buchstaben unbekannt« oder »Symbol bzw. Ideogramm kann nicht gedeutet werden«. Sie zählte die betreffenden Stellen und machte sich Notizen in ihrem Tagebuch. Es ließ sich nicht feststellen, ob die Namen einer bestimmten Gruppe
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