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Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Titel: Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barb J. C. Hendee
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der Gilde erhielten. Die Weisen hatten fünf Läden in ihre Dienste genommen und verteilten die Arbeit gleichmäßig auf sie: »Der Aufrechte Federkiel«, »Gold und Tinte«, das »Tintenfass«, »Feder & Pergament« und »Vier Schreiber in einem Haus«. Als sich Chane auf seinem schäbigen Bett aufsetzte, dachte er an die vergangene Nacht.
    Er hatte Wynn wiedergesehen, zum ersten Mal seit einem guten Jahr.
    Einst war seine Existenz so sehr mit der ihren verknüpft gewesen, dass er jede noch so kleine Einzelheit ihres Gesichts kannte. Damals in Bela hatte sie sich Magiere, Leesil und Chap angeschlossen, und Chane war widerstrebend bereit gewesen, mit einem Edlen Toten namens Welstiel zu reisen, Magieres Halbbruder. Zusammen mit ihm war er Wynn und ihren Begleitern durch mehrere Länder gefolgt, an Küsten entlang und über Berge hinweg, immer auf der Suche nach Welstiels »Kugel«. Aber letztendlich hatte Magiere sie gefunden und an sich nehmen können. Und in der von Eis umgebenen Feste in den Pockenhöhen fand Welstiel sein Ende, als er in unergründliche Tiefen stürzte.
    Chane hingegen hatte überlebt.
    Er strich sich mit einer Hand übers Gesicht, stand auf und sah sich in seinem kleinen Dachbodenzimmer um.
    Als er mit nur wenig Geld in Calm Seatt eingetroffen war, hatte er die billigste Unterkunft genommen, die er finden konnte. Sie befand sich in einem heruntergekommenen Wirtshaus namens »Natties Haus«, das zu einem der ärmsten Viertel der Stadt gehörte – die Bewohner nannten das Viertel »Grauland-Reich«. Im Lauf der Zeit hatte er seinen Opfern Münzen abgenommen und hätte sich inzwischen ein besseres Quartier leisten können, aber es war ihm die Mühe nicht wert. Chane blieb in seiner armseligen Unterkunft, die ihm durchaus von Nutzen war.
    Vor seinen Habseligkeiten in der einen Ecke des Raums – dort, wo die Balken zur Traufe auf der Straßenseite führten – ging er in die Hocke. Er öffnete den ersten der beiden Rucksäcke und entnahm ihm einen alten Schriftrollenzylinder aus Blech. Mit diesem Objekt in den Händen schloss er die Augen und kehrte geistig zu der Nacht von Welstiels »zweitem Tod« zurück. In der gleichen Nacht hatte Chane in der Bibliothek der Eisfeste Wynn verlassen.
    Er verweilte nicht gern bei Vergangenem, aber es war nicht das erste und auch nicht das hundertste Mal, dass seine Gedanken zu Ereignissen zurückkehrten, die ihn auf den gegenwärtigen Weg geführt hatten …
    Er sah sich selbst, wie er Wynn in der Bibliothek mit der uralten Untoten zurückließ und über das schneebedeckte Hochplateau wankte.
    Zum ersten Mal während seiner untoten Existenz hatte er kein Ziel mehr, keinen Ort, der ihm so etwas wie ein Zuhause bieten konnte. Chane erinnerte sich an das Gefühl, ohne Wynn auch keine Zukunft zu haben, in ihrer Welt nicht mehr zu existieren. Sie verdiente kein Ungeheuer, das nachts Menschen jagte und tiefe Befriedigung darin fand, sie zu töten. Überlebenswille und Hunger hielten ihn in Bewegung. Langsam ließ er die Pockenhöhen hinter sich und zog nach Westen.
    Bela war der Ort, wo seine Existenz als Edler Toter begonnen hatte – und wo er Wynn und ihren Weisen zum ersten Mal begegnet war.
    Ein Teil von ihm glaubte, dass sie Magiere verlassen und dorthin zurückkehren würde, zur neuen Niederlassung der Gilde. Sie gehörte dorthin, und das würde sie schließlich einsehen. Als Chane die belaskische Grenze überquerte, noch immer weit von der Königsstadt entfernt, begriff er, dass er nicht einmal diesen kleinen Teil von Wynns Welt berühren sollte. Aber mit jedem Schritt in dem Land, in dem er zu seinen Lebzeiten zu Hause gewesen war, wurde Chanes Wunsch stärker, die Vergangenheit auszulöschen und als Weiser zu leben .
    In der Gesellschaft von Büchern und Pergamenten, im Licht von Kaltlampen-Kristallen, die die Dunkelheit fernhielten, zusammen mit einer ganz bestimmten Frau.
    Unmöglich. Er war ein Untoter, und das Ungeheuer in ihm würde nie schlafen.
    Als er schließlich Bela erreichte, hielt er sich von den alten Kasernen fern, in denen sich die Gilde eingerichtet hatte. Er nahm sich ein Zimmer in einem schmuddeligen kleinen Gasthaus bei der letzten Stadtmauer. Noch immer verfügte er über Welstiels Besitz und auch seinen eigenen, führte außerdem die aus dem Kloster stammenden Bücher bei sich, in dem Welstiel über die Mönche hergefallen war und sie in Untote verwandelt hatte. Darüber hinaus besaß Chane den Schriftrollenzylinder, den einzigen

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