Dhampir
Steine warfen, schwarze oder weiße. Die meisten von ihnen blieben auf dem sanft geneigten Hang der Senke liegen, doch Gleanns schwarzer Stein rollte bis in die Mitte der Lichtung. Der Clan-Älteste schenkte der jungen Weisen ein Lächeln, und Wynn verstand.
Schwarz für Ablehnung, und Weiß für Zustimmung zum Kampf.
Wynn brauchte nicht hinzusehen, um festzustellen, welche Farbe der Älteste der Äruin’nas warf.
Brot’an und Fréth folgten Sgäile, als der die Steine einsammelte und in die beiden Körbe legte. Auf einer Seite der Lichtung leerten sie die Körbe, und es entstanden zwei Haufen, die etwa gleich groß zu sein schienen. Sgäile begann zu zählen.
Noch vor der Bekanntgabe des Resultats kehrte Brot’an zu Wynn zurück. Chap knurrte neben ihr.
»Der Gerichtskampf wird gewährt!«, rief Sgäile.
Brot’an zog Stilette und Klingen aus Unterarmscheiden und den Stiefeln und legte sie auf den Tisch.
»Was machst du da?«, fragte Wynn.
Er achtete nicht auf sie und drehte sich um. »Als Fürsprecher der Angeklagten beanspruche ich das Recht der Stellvertretung.«
Auf halbem Weg zu ihrem Tisch wirbelte Fréth herum, und selbst aus dieser Entfernung sah Wynn, wie sie die Augen aufriss.
»Nein!«, heulte der Älteste Vater. »Das würde nichts beweisen! Die Menschenfrau ist eine Abscheulichkeit, und du willst dich für sie deiner eigenen Kaste zum Kampf stellen?«
Wynn versuchte, zu übersetzen und gleichzeitig den Ereignissen zu folgen. In ihrem Kopf knisterte und summte es plötzlich, und Übelkeit ging damit einher.
Er hat zu schnell widersprochen! Er will diesen Kampf .
Sie sah nach unten und stellte fest, dass Chap die Ohren angelegt und seinen Blick auf den Ältesten Vater gerichtet hatte.
Zwar hatte der alte Patriarch dagegen protestiert, dass Brot’an an Magieres Stelle gegen Fréth kämpfte, aber seine Augen verrieten Aufregung. Erneut erklang Chaps Stimme in Wynns Kopf.
Brot’ans Eingreifen lässt den Alten gewisse Möglichkeiten erkennen. Er will, dass Brot’an kämpft .
Der Älteste Vater versuchte aufzustehen, sank aber in seinen Sessel zurück. Schwach hob er den Kopf, und sein Blick strich über die Elfen auf der Lichtung.
»Seht ihr, was das Monstrum angerichtet hat?«, keifte er. »Es vergiftet uns und bringt Angehörige unseres Volkes dazu, gegeneinander zu kämpfen.«
Brot’an wandte sich an Sgäile. »Nach dem Gesetz bin ich berechtigt, die Angeklagte beim Kampf zu vertreten.«
Sgäile antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er etwas, das Wynn im allgemeinen Lärm nicht verstand, aber offenbar bestätigte er damit Brot’ans Worte. Dann senkte er den Kopf.
Wynn kannte Sgäile nicht gut, aber sie wusste, wo seine Loyalitäten lagen. Das Letzte, was er wollte, war ein Kampf innerhalb seiner Kaste.
Es geht hier gar nicht mehr um Magiere, sagte Chap.
Wynn erkannte den Protest des Ältesten Vaters als Ablenkungsmanöver. Wenn Brot’an gewönne, brächte ihm seine Kaste weniger Vertrauen entgegen und würfe ihm vielleicht sogar vor, dass er sich auf die Seite von Feinden seines Volkes gestellt hatte. Wenn er verlor, so unwahrscheinlich das auch sein mochte, musste der Rat immer noch eine Entscheidung darüber fällen, was mit Magiere geschehen sollte. Was auch immer geschah, der Älteste Vater konnte Vorteile daraus ziehen.
Wynn blieb nichts anderes übrig, als zu warten und zu beobachten.
Brot’an stand entspannt und hoch aufgerichtet in der Mitte der Lichtung, den Blick auf Fréth gerichtet.
»Wenn du so weit bis t … «
Chap wusste, dass Brot’an die einzige Möglichkeit nutzte, die ihm geblieben war, aber der Älteste Vater hatte recht: Dafür, dass gewalttätige Ausschreitungen unter Elfen entstanden waren, würde man Magiere verantwortlich machen. Selbst wenn Brot’ans Sieg ihre Unschuld besiegelt e – es befreite sie nur von den aktuellen Beschuldigungen. Gleichzeitig war es etwas, das gegen sie sprach, wenn die Ältesten ihr endgültiges Urteil fällen mussten.
Die internen Machtkämpfe der Anmaglâhk kümmerten Chap nicht, aber er wollte nicht zulassen, dass Magiere noch einmal benutzt wurde.
Er lief über die Lichtung, ungeachtet der Aufmerksamkeit, die er damit auf sich zog.
»Was machst du?«, rief Wynn ihm hinterher.
Chap hatte keine Zeit für Erklärungen. Er lief zur anderen Seite der Lichtung, auf Gleann und seinen Clan zu.
Der Mund des alten Heilers klappte auf. Mit lautem Knurren brachte Chap die Leute dazu, vor ihm den Weg freizugeben.
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