Dhampir
Die Augen glänzten wie geschliffene Steine und wirkten zuerst dunkel; doch wo sie das Sonnenlicht einfingen, bekamen sie einen roten Glanz. Die gefiederte Frau neigte den Kopf wie eine Krähe und musterte Magiere.
Sie kam näher und wippte bei ihren vorsichtigen Schritte n – offenbar war sie nicht daran gewöhnt, auf festem Boden zu gehen.
» Úirishg «, sagte Wynn. Das Wort platzte aus ihr heraus.
Magieres Blick klebte an der Vogelfrau fest, vor der die Majay-hì beiseitewichen. Irgendwo weiter hinten rief eine Elfe: »Séyilf!« Das Wort hallte durch Magieres Kopf, bis sie versuchte, es zu wiederholen. Sie brachte ein »Silf« zustande.
»Vom Wind getragen«, übersetzte Wynn.
Die Silf kam näher und streckte eine Hand mit dünnen Fingern aus. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, und zwischen den Lippen wurden keine Zähne sichtbar, sondern Höcker, wie an der Kante von Vogelschnäbeln. Das aus dem Mund der gefiederten Frau kommende Geräusch war eine Mischung aus dem Ruf eines Jagdfalken und dem Zwitschern eines Spatzen.
Gleann schritt über den Hang der Lichtung und blieb neben Wynn stehen. Die meisten Majay-hì näherten sich, unter ihnen auch Chap und die Weiße. Fréth ging zum Ältesten Vater, der das Geschehen stumm und voller Argwohn beobachtete. Brot’an und Sgäile folgten Leesil, als der zu Magiere trat.
Die Silf sah sich um, wurde unruhig und breitete die Flügel aus.
Gleann forderte die anderen auf, stehen zu bleiben und sich nicht weiter zu nähern. Hinter ihm löste sich einer der Äruin’nas aus der Menge der Elfen.
»Das ist Tuma’ac«, sagte Gleann auf Belaskisch. »Er kann übersetzen.«
Tuma’ac sah Magiere an, und in einem Augenwinkel zuckte es so heftig, dass die Falten im sonnengebräunten Gesicht zu tanzen schienen. Er nickte Gleann zu und wandte sich dann an Sgäile.
Sgäile straffte die Schultern und erinnerte sich offenbar an seine Rolle als Schiedsmann. »Ja, dolmetsche für uns.«
Tuma’ac näherte sich der Silf, und wie sich herausstellte, war sie tatsächlich kleiner als er. Er deutete auf sich selbst und formulierte Worte in einer seltsamen Sprache. Wieder kam das sonderbare Geräusch von der gefiederten Frau, und für Magiere unterschied es sich kaum von dem, was sie eben gehört hatte. Tuma’ac blinzelte und sah kurz zu Magiere. Die Überraschung in seinem Gesicht wich Abscheu, und mit scharfer Stimme sagte er etwas zu Gleann.
Der wölbte die Brauen. »Er meint, die Séyilf hätte dich als ›Verwandte‹ bezeichne t … als Blut von ihrer Art.«
Magiere sah Leesil an, der nur den Kopf schüttelte, und dann ging ihr Blick zu Wynn.
Die junge Weise war entsetzt, stand sprachlos da und brachte keinen Ton hervor.
Plötzlich erinnerte sich Magiere an einen geheimen Raum unter der Feste ihres Vaters.
Bei den Resten der Toten, die sie dort gefunden hatten, waren sie auf Federn gestoßen. Wynn hatte von den Úirishg gesprochen, einem der fünf mythischen Völker, von denen nur zwei bekannt waren: die Elfen und Zwerge. Fünf Geschöpfe waren in jenem Raum getötet worden, in einem blutigen Ritual, das Magieres Geburt ermöglichen sollte.
Kälte breitete sich in Magiere aus, und sie sah in die dunklen Augen der Silf.
Sie öffnete den Mund zu einem Zirpen, und Tuma’ac übersetzte erneut.
»Sie sagt, dir soll nichts geschehe n … «, verkündete Gleann. »Ihr Volk nimmt keine Gewalt gegen eine Verwandte hin.«
»Das kann unmöglich wahr sein!«, rief der Älteste Vater. »Bestimmt ist die Übersetzung fehlerhaft. Und selbst wenn sie richtig is t … Wie kann diese Séyilf von einer ›Verwandten‹ sprechen?«
Die Frage wurde weitergegeben, und Tuma’ac dolmetschte erneut. Schließlich richtete Gleann ein einzelnes Wort an Wynn, das ihr offenbar Schwierigkeiten bereitete.
»Etwas wi e … « Wynn schüttelte den Kopf. »Sie ist eine Ar t … geistliches Oberhaupt. Man könnte es mit ›Geist-Sprecherin‹ übersetzen.«
Gleann wandte sich an den Ältesten Vater. »Wenn du Tuma’ac oder die Séyilf Lügner nennen willst, so mach das selbst und nicht durch mich. Weisen wir jetzt auch die Worte jener zurück, denen wir versprochen haben, sie in unseren Bergen zu beschützen?«
Wynn schob sich etwas näher an Magiere heran. »Die Feder und die Beeren in den Tunneln. Beides stammte von einer Séyilf.«
Die Silf wandte sich ab, und Tuma’ac brummte zufrieden, bevor er zu Gleann sprach.
»Sie ruft uns zur Abstimmung«, sagte Gleann und deutete
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