Diabolos (German Edition)
ihrer Autorität nicht so recht zum sanften Gemüt des Mannes passen. Jedoch wusste ich die letzten sechs Jahre nicht zu sagen, was das Haus aus ihm gemacht und wie sehr sich sein Wesen verkehrt hatte. Bis auf einige schriftliche Kontakte war mir jeder Bericht über das Wohlergehen des Jeremiah Wilkes verwehrt geblieben. Und in diesen wenigen Briefen hatte er mir stets versichert, dass ich mich nicht um ihn sorgen musste. Doch diese letzten Zeilen, die mir mein Vater nach seinem Tod durch seine Anwälte überreichen ließ, schürten in mir die tiefste Besorgnis. Wüsste ich nicht der Vernunft, derer sich mein Vater im Leben stets ausgezeichnet hatte, so käme ich zweifelsohne zu der Annahme, den Brief eines Schwachsinnigen oder geistig degenerierten Menschen in Händen zu halten. Der Umstand aber, dass es sich um die Zeilen des Jeremiah Wilkes, meines Vaters, handelte, beschwor in mir eine eisige Kälte zu Tage, die meine Gedanken lähmte.
Ich konnte ein Zittern nicht leugnen, als ich die Worte erneut las, diesmal im heimeligen, gelben Schein einer Öllaterne im Hause meines Großvaters.
Mein lieber Adam
Wenn Du diese Zeilen in Händen hältst, weißt Du, dass ich tot bin.
Wir hatten nicht mehr viel Kontakt in den letzten Jahren, was ich sehr bedauere, aber aus Deiner Sicht auch durchaus verstehen kann. Ich kann mich noch sehr gut Deiner fragenden Blicke entsinnen, als Du mich das letzte Mal in Arc´s Hill besucht hast. Ich weiß, dass Du damals an meiner geistigen Verfassung gezweifelt hast, und ich muss Dir sagen, in all den Jahren, in denen Du Abneigung gegen das Haus und Deinen Großvater hegtest, hattest Du vollkommen Recht; ebenso als Du an meinem geistigen Wohlbefinden gezweifelt hast.
Du wirst es wieder tun, wenn Du diese Zeilen liest. Aber glaube mir, Adam, noch nie fühlte ich mich so klar bei Verstand, seit ich dieses Haus betreten habe, und diese Gunst will ich nutzen, Dir diese Zeilen zu schreiben.
Ich spüre, dass mein Ende nicht mehr fern ist. Ich wollte Dir das nicht auf normalem Postwege mitteilen, weil ich nicht möchte, dass Du nach Arc´s Hill kommst, um mir beizustehen. Doch mache Dir keine Sorgen, ich werde nicht leiden müssen, wenn der Tod nun endlich auch zu mir kommt.
Das Haus fällt nun an Dich. Und mit ihm all das, was in ihm ist. Und genau aus diesem Grund schreibe ich Dir diesen Brief.
Du wirst in diesem Haus nicht leben können. Ich weiß, dass Du dies auch nicht möchtest. Aber ich muss Dir eindringlich sagen: Du darfst es nicht!
Du weißt, welch ein Mensch Dein Großvater war. Als Kind hattest Du ihn geliebt, als Du jedoch in ein Alter kamst, in dem man beginnt, den Verstand zu nutzen, hast Du das wahre Wesen des Mannes erkannt.
Doch möchte ich Dir sagen, dass er nicht immer so war. Ich erinnere mich an Zeiten, da ich selbst ein Kind war und mein Vater ein großherziger und gütiger Mensch. Es hatte mir an nichts gemangelt und ich hatte ihn ebenso geliebt, wie Du es als kleiner Junge getan hast. Nichts hatte in diesen Jahren auch nur im Entferntesten darauf hingewiesen, dass er einmal so werden würde, wie wir beide ihn kennengelernt haben. Es war das Haus, das ihn verändert hat. Das Haus, und das, was in ihm umgeht.
Meine Worte mögen Dir ohne Sinn und Verstand erscheinen, doch wenn Du Dir das Bild Deines Großvaters in Erinnerung rufst, erkennst Du vielleicht, wie ernst es mir ist. Und rufe Dir auch mein eigenes Erscheinungsbild in Erinnerung zurück, als Du mich vor sechs Jahren das letzte Mal besucht hast.
Ebenso wie Deinen Großvater hatte das Haus damit begonnen, mich zu verändern. Deshalb noch einmal: Du darfst auf keinen Fall in Betracht ziehen, Deinen Lebensabend in diesen Räumen zu verbringen.
Es liegt natürlich in Deinem Ermessensbereich, was Du mit dem Erbe tust. Du kannst versuchen, einen Käufer für das Haus zu finden. Doch wird Dir dies nicht in Arc´s Hill gelingen. Die Menschen hier sind sehr skeptisch und wissen der Legenden, die sich um das Haus ranken.
Auch hege ich Zweifel, dass jemand von außerhalb sich für das Haus, ebenso für den Ort, in dem es steht, interessieren könnte. Ich denke, ein jeder, der klar bei Verstand ist, erkennt das Wesen des Hauses, ebenso die Aura, die es umgibt.
Ich möchte Dir nicht vorgreifen, doch wage ich zu behaupten, dass es Dir schwer fallen wird – wenn nicht gar unmöglich ist – einen Käufer für Großvaters Haus zu finden.
Deshalb mein Anliegen an Dich, werter Adam.
Überlasse das Haus sich selbst.
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