Diabolos (German Edition)
Nacht mit einer möglicherweise erfolglosen Suche nach einem altertümlichen, vom Rost zersetzten Schlüssel zu verbringen.
Da ich nicht die Absicht hegte, meinen Lebensabend in dem alten Haus zu verbringen – ganz so, wie es mein Vater von mir forderte – würde es meinem Gewissen keinen Schaden zufügen, wenn ich der Tür mit Gewalt zu Leibe rückte. Ich stellte den Leuchter auf dem rußgeschwärzten Herd ab und begann die Töpfe, Pfannen, Tiegel und Gläser vom Regal zu räumen. Ein jedes hinterließ einen sauberen, runden Abdruck in einer dicken, dunkelgrauen Staubschicht, die mir das Atmen erschwerte, als sie in die Luft aufstob.
Das Regal von der Tür zu entfernen erwies sich als merklich schwerer, stand es doch, soweit meine Erinnerungen zurückreichten, an diesem Platz vor der Tür. Und ich vermochte es mir nicht vorzustellen, dass man es in dieser Zeitspanne des Öfteren bewegt hatte. Durch herabspritzendes Fett von den Platten des alten Herdes und natürlichem Zerfalls hatten sich die Füße des Regals fest mit den Holzdielen des Küchenbodens verbunden und gaben erst nach größter Anstrengung und mit einem hässlichen Reißen, als würde alte, ausgetrocknete Haut aufplatzen, nach.
Erst einmal von seinem Jahrzehnte alten Standort befreit ließ sich das Holzgerüst leicht von der Tür entfernen. Ich stellte es neben die Eingangstür des Hauses, stützte die Hände nach der Anstrengung keuchend in die Hüften und betrachtete mir die nunmehr frei vor mir liegende Tür der geheimnisvollen Kammer.
Plötzlich überkam mich das nagende Gefühl, etwas Falsches zu tun mit derart abnormer Heftigkeit, dass ich mich unwillkürlich umschaute, ob nicht die massige Gestalt meines Großvaters in all seiner Schrecklichkeit hinter mir stand, um mich mit einem grimmigen Kopfschütteln von meinem Narrentum abzuhalten.
Konnte es denn tatsächlich sein, dass mich der Atem des Hauses bereits in der ersten Nacht vergiftet hatte und mir die fürchterlichsten Halluzinationen schickte? Ich musste handeln, wollte ich mich dem Geist des Hauses nicht beugen.
Mein Blick fiel auf eine alte, hölzerne Werkzeugkiste, die bereits zu Zeiten meines Großvaters in einer Nische hinter der Eingangstür gestanden hatte. Scheinbar hatte mein Vater sie ebenso benutzt, wie es sein Vater getan hatte, denn einige Werkzeuge ragten im Dämmerlicht wie groteske Zähne und Knochen aus der Kiste heraus. Als ich mich ihr näherte, erkannte ich sehr zu meiner Freude und Verwunderung ein massiges Stemmeisen, das im Schein der Öllampe matt glänzte, als ich es in Händen hielt.
Ich dachte kurz mit Schaudern daran, wie es mein Großvater schon in Händen gehalten hatte, und danach mein Vater, und meine Gedanken schweiften ohne jegliche Kontrolle zu jenem ab, was die beiden wohl damit angefangen haben mochten. In meinen überreizten Gedankengängen stellte ich mir vor, wie die beiden mit dem Eisen Jagd auf etwas gemacht hatten, das ich erst noch kennenlernen würde.
Dann schüttelte ich den Gedanken wie kaltes Wasser von mir ab, ergriff den harten Stahl und ging auf die Tür zu, die sich mir plötzlich wie eine angriffsbereite Bestie entgegenzustellen schien.
Doch das Gewicht der Stange und die Härte und Kälte des Eisens erzeugten in mir ein blendendes Gefühl der Überlegenheit und einer Stärke, die ich Zeit meines Lebens in diesem Haus nie verspürt hatte.
Ohne weiter über mein Tun nachzusinnen oder mich den schreienden Zweifeln darzubieten, die sich meiner bemächtigten, setzte ich das Stemmeisen zwischen dem alten Schloss und dem hölzernen Rahmen an. Ich besaß wenig Erfahrung im Aufstemmen verschlossener Türen, und auch diese widersetzte sich aufgrund von Rost und verhärtetem Staub bemerkenswert meinen Kräften.
Immer wieder stieß ich neue Lücken zwischen Tür und Rahmen, hebelte mit dem Eisen, lauschte auf das protestierende Ächzen des Holzes und schmeckte trockenen Staub auf meinen Lippen. Mein Herz schlug laut, und in meinen Ohren rauschte mein Blut wie ein Sturm in der Nacht. Mein Atem ging keuchend und schmerzte in der Brust. Ich fragte mich, wie stabil die Handwerkskunst vergangener Jahrhunderte wohl sein konnte. Wie lange mochte die Tür zur Kammer nicht mehr geöffnet worden sein?
Ich stellte mir meinen Großvater vor, Henry Wilkes, den Mann, den ich als Kind geliebt, in späteren Jahren gefürchtet hatte. Hatte mein Großvater jemals in seinem Leben die verborgene Kammer betreten? Was war mit meinem Vater? Hatte er in den
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