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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Verriegele die Türen und Fenster und verfüge, dass niemals wieder jemand das Haus betritt. Suche einen Notar auf, oder die örtliche Polizeibehörde, und lasse die Türe mit einem amtlichen Siegel verschließen. Sicher würde eine derartige Maßnahme lichtscheues Gesindel und junge Leute, die ihren Mut zu beweisen suchen, hervorlocken. Doch sagt man nicht, ein jeder zeichnet für sein eigenes Schicksal Verantwortung?
    Vielleicht wäre es das Beste, Du würdest das Haus zerstören. Das Haus und alles, was Du darin vorfindest.
    Aber dies kann ich Dir nicht als Empfehlung zukommen lassen. So sehr ich das auch möchte, denn Deine Mutter hatte das Haus stets geliebt. Und sie tut es immer noch.
    Deshalb überlasse das Haus seinem Frieden. Kehre zurück nach London und vergiss all das, was Du vielleicht in dem Haus vorfindest oder zu hören glaubst.
    Vertraue mir dies eine Mal noch, mein lieber Adam.

    In ewiger Liebe und Dankbarkeit.

    Dein Vater Jeremiah Wilkes

    Ich ließ den Brief sinken, auch um mir nicht einzugestehen müssen, wie sehr die Seiten in meiner Hand zitterten, und versuchte mir meinen Vater vorzustellen, wie er an diesem Tisch saß und in Gedanken bei mir weilte, während er seine letzten Worte an mich richtete. Ich konnte förmlich die Verzweiflung spüren, die von diesem einst stolzen und aufrechten Menschen Besitz ergriffen hatte.
    Schon bei meinem Besuch vor sechs Jahren, als ich meinen Vater das letzte Mal zu Gesicht bekam, hatte ich die Veränderungen an seiner Person und seinem Verhalten nicht bloß erahnt, sondern sie wirklich gesehen und bewusst wahrgenommen. Fast erschien es mir im Nachhinein, als hätte mir in jenen Tagen des Jahres 1925 ein völlig anderer, fremder Mensch gegenüber gesessen, und nicht der Mann, den ich Zeit meines Lebens verehrt hatte.
    Mein Blick fiel zum Regal neben dem gusseisernen Herd und der dahinter verborgenen Tür. Kehre zurück nach London und vergiss all das, was Du vielleicht in dem Haus vorfindest oder zu hören glaubst. Plötzlich wurde mir die Essenz dieses Satzes mit kaltem Schrecken bewusst.
    Wieder rief ich mir die lethargische Verfassung meines Vaters in Erinnerung, als ich ihn das letzte Mal in diesen Räumen gesehen hatte. Das eingefallene Gesicht mit der fahlen Haut, die mich im Schein der Laternen an das wächserne Gesicht eines Toten erinnert hatte. Die gebeugte Haltung und der ruhelose Blick, der insbesondere in den dunklen Ecken der Zimmer zu verweilen schien, als versuche er dort unsichtbare Bewegungen ausfindig zu machen.
    Irgendetwas in diesem Haus musste ihn verändert haben – ebenso wie es mit meinem Großvater geschehen war, wollte ich den Worten meines Vaters Glauben schenken. Hinzu gesellten sich die unheimlichen Geräusche, deren Ursprung ich in der verschlossenen Kammer vermutete, und die mich aus einem tiefen und abartigen Alptraum gerissen hatten.
    Das alles verdichtete sich in mir zu einem unbestechlichen Verdacht, dass sich etwas in der verborgenen Kammer befinden musste, das dem Haus seine schwarze Seele verlieh und die Luft verpestete, die arglose Menschen einatmeten.
    Eine andere Passage des Briefes versuchte sich in den Vordergrund meiner Gedanken zu drängen. Ein Fetzen aus Worten, den ich zu fassen versuchte. Doch ehe der Sinn dieser Worte meinen Verstand erreichte, ergriff ich die Lampe und kehrte zum Regal mit den Tiegeln und Töpfen und der dahinter gelegenen Tür zurück.
    Die Worte meines Vaters, die mir etwas zuzuflüstern versuchten, verblassten. Mit einem Schlag schien sich das schwarze, vom Fett des Ofens glänzende Holz verändert und eigenes Leben angenommen zu haben. Wie sehr doch Illusionen und Verstand, gepaart mit dem uralten Atem von etwas Unbekannten und Unheimlichen, die Sichtweise bestimmter Dinge verändern konnten. Als sich meine Hand auf das Türblatt legte, glaubte ich tatsächlich eine beständige, lebendig zu nennende Wärme zu verspüren. Dazu ein stetes Pulsieren, als atme das Holz, ebenso wie das übrige Haus, den Hauch von Jahrhunderten aus.
    Schnell zog ich meine Hand zurück und betrachtete das eiserne Schloss der Tür. Der Rost war fest und nicht brüchig und schien sich in den letzten Jahren ungestört in das Eisen hereingefressen zu haben. Ich erinnerte mich nicht daran, jemals einen Schlüssel zu dieser Tür gesehen zu haben, weder jetzt noch in meinen Kindertagen, in denen die Tür noch nicht das fortgeschrittene Stadium des Verfalls erreicht hatte. Auch hatte ich nicht vor, den Rest der

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