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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Jahren, in denen er das Haus seine Heimstätte genannt hatte, das Wagnis auf sich genommen und die Tür geöffnet? Hatten beide Männer jemals den fauligen Atem ungezählter Jahre aufgesogen, der sich jenseits der Tür gestaut und in das Holz der Wände gefressen hatte?
    Und was war vor meinem Großvater? Was war mit den Menschen, die das Haus vor Henry Wilkes bewohnt hatten? Wussten sie um der Existenz dieser Kammer? Hatten sie den Verschlag möglicherweise gar selbst angelegt und dann, aus welchen Gründen auch immer, auf ewig verschlossen?
    Wieder stieß ich mit dem Eisen kräftig zwischen Tür und Rahmen. Die Scharniere ächzten, Rost regnete in feinstem Nebel herab. Die Luft war von Staub geschwängert. Meine Arme begannen zu schmerzen, meine Hände besaßen kaum noch die Kraft den kalten Stahl zu greifen. In meiner Erschöpfung begann ich mit den Knien und Füßen gegen die Tür zu drücken und zu treten. Die Schläge hallten fürchterlich durch die Räume, und ich stellte mir vor, dass der Lärm bei Nacht gar in den verschlafenen Gassen und Winkeln von Arc´s Hill zu hören sein musste. Dennoch machte ich unbeirrt weiter. Ich wusste, dass ich nicht mehr zurück konnte.
    Wollte ich dem Geheimnis der Kammer und dem merkwürdigen Zustand meines Vaters, nicht zu verschweigen dem rätselhaften Inhalt seines Briefes, auf den Grund gehen, musste ich endlich den Bann brechen und die Tür aufstemmen. Was immer mich auch erwarten mochte …

    Ich spürte es nicht bewusst. Wenn ich später Gelegenheit haben würde, mir darüber Gedanken zu machen, käme ich zu dem Schluss, dass sich mein Verstand in diesem denkwürdigen Augenblick weit jenseits der dunklen Hütte befunden hatte. Ob vor Erschöpfung oder Abscheu vor jenem, was ich zu finden fürchtete, würde dabei wohl unbeantwortet bleiben.
    Erst als ich mit dem Stemmeisen in leeren Raum hieb und nur mit Mühe mein Gleichgewicht halten konnte, kehrten all die rasenden Gedanken an meinen Großvater, an die Kammer und die seltsamen, schleifenden Geräusche in einem einzigen Wirbel zurück, der mich schwindeln ließ.
    Mit den Gedanken erfasste mich eine erschreckend kalte, nie zuvor verspürte Furcht, die mich inmitten meiner Bewegung erstarren ließ. Das Eisen mit beiden Händen haltend, stand ich vor der Tür, die nun einen Spalt offen stand und schier undurchdringliche Dunkelheit dahinter offenbarte.
    Dass sich meine schmerzenden und blutenden Finger krampfhaft um den Stahl schlossen, spürte ich nicht. Ebenso wenig den heißen Atem, der meine pochenden Lungen zu versengen drohte. Wie gebannt starrte ich auf den schwarzen Streifen von Nacht, den der Schein der Öllaterne kaum zu verdrängen vermochte.
    Mit dem Fuß stieß ich schließlich gegen das Türblatt und sah mit gebanntem Blick zu, wie aus dem Nachtstreifen ein finsteres, gähnendes Rechteck völliger Schwärze wurde. Die Scharniere knirschten unter ihrer Last aus Staub und Rost, und ließen einen rötlich-braunen Nebel der Jahre zu Boden rieseln. Doch dann stand ich endlich vor der offenen Kammer, die mir in diesem Augenblick wie das Tor in eine fremde Dimension erschien. Ein Schwall heißer, uralter Luft schlug mir entgegen und verschwand in der Dunkelheit des Hauses.
    Ich hatte die Bücher von Jules Verne verschlungen und liebte seine Darstellung von der Reise zum Mittelpunkt der Erde. Genauso fühlte ich mich in dieser Nacht in dem alten Haus meines Großvaters. Vorsichtig trat ich näher, wobei ich das Stemmeisen nicht aus der Hand legte.
    Ich lauschte.
    Nichts regte sich im Dunkeln. Doch ein abnormer Gestank raubte mir fast den Atem und erfüllte schnell die gesamte Küche.
    Ich hatte die Ausdünstung von Jahrzehnten erwartet, von toter, stehender Luft, die von der Fäulnis der Wände und des Bodens getränkt war. Doch da war noch etwas anderes, das mir schier die Tränen in die Augen trieb.
    Das Erste, was mir die Nackenhaare sträubte, war der bestialische Gestank nach Getier, der aus der dunklen Öffnung drang. Fast erschien es mir, als erwarte mich in der Dunkelheit die Heimstätte eines Tigers oder von etwas noch gewaltigerem. Der Gedanke an einen Besuch im Londoner Zoo vor drei Monaten drängte sich mir auf, als ich das Gehege der Löwen besichtigt hatte und Zeuge der Fütterungszeit geworden war. Ein Anblick, den ich so schnell nicht wieder vergessen hatte, so grausam war mir dieses natürliche Ritual vorgekommen.
    Eben dieser Gestank drängte sich nun wie eine Wolke an mir vorbei in das Haus. Die

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