Diabolos (German Edition)
feuchten, von Schweiß gepeinigten Ausdünstungen von etwas Lebendigem, das in der Kammer hausen musste. Oder atmete ich gar die Fäulnis von etwas ein, das lange schon verendet war? Ich wagte keinen Gedanken daran zu verschwenden. Sofort drängten sich in mir die unheimlichen Geräusche in den Vordergrund, als hätte sich etwas Großes, Schwerfälliges vom Boden erhoben und sich durch die Kammer bewegt.
Während ich das Stemmeisen mit einer Hand immer noch fest umschlossen hielt, griff ich mit der freien Hand nach der Laterne. Ehe ich sie hoch halten konnte, zögerte ich. Was mochte mich in dem dunklen Zimmer erwarten?
Zeit meines Lebens war diese Kammer vor der übrigen Welt verschlossen gewesen. Zumindest hatte ich sie nie offen gesehen. Was würde diese fremde, stinkende Welt, dieser völlig neue Schritt in meinem bis dahin bescheiden verlaufenden Leben für mich bereithalten?
In dem Augenblick, als ich die Lampe in Augenhöhe hob, erkannte ich, dass sich unter den Gestank von Fäulnis und Tieren noch ein weiterer gemischt hatte, der mir anfangs nicht aufgefallen war. Die leichte Würze von verbranntem Holz. Der scharfe Geruch von Feuer, das lange schon erloschen war, dessen Glut und Rauch das Gefängnis jedoch nie verlassen konnte. Mit Schritten, die mir viel zu laut in dieser Nacht erschienen, trat ich zum ersten Mal in meinem Leben über die Schwelle der verschlossenen Kammer.
Wieder versuchte etwas in meinen wirren Gedankengängen nach vorne zu preschen. Ein kurzer, leiser Schrei, der mit dem Brief meines Vaters zu tun hatte. Der Gedanke überwältigte mich wie kaltes Wasser, ließ mich stocken und wartete nur darauf in seiner Schrecklichkeit erfasst und verstanden zu werden.
Doch als ich ihn ergreifen wollte, verflüchtigte er sich wie ein Traumgespinst in der Nacht, und zurück blieb eine kalte Ahnung, dass ich etwas in Jeremiahs Brief übersehen, das mein Unterbewusstsein jedoch in all seiner Tragweite erkannt hatte. Etwas versuchte mich zu warnen. Doch mein Verstand erschien mir in diesem Augenblick, als ich über die Schwelle der verwahrten Kammer trat, der unendlichen Weite jener schwarzen Wüste aus meinen Träumen, in denen die Gestalt meines Großvaters durch die freistehende Türe trat und verschwand, gleich; leer und verfallen und zu groß, um ihn zu kontrollieren.
Ich weiß nicht zu sagen, was ich in diesem Moment erwartet hatte, als ich diese neue Welt in meinem Leben betrat.
Das Haus meines Großvaters hatte mich mein Leben lang begleitet und geführt. In meinen Kindertagen hatte ich diesen Ort geliebt, wollte nie wieder von hier weg und den Rest meines, in meiner kindlichen Phantasie nie enden wollenden und sich nie verändernden Lebens, hier in diesen Räumen verbringen. In meinen Träumen über die Kinderzeit hinaus hatte mich das Haus das Fürchten gelehrt. Es hatte mir die Schrecken der niedrigen Zimmer und seines Bewohners offenbart und mich in meinen gepeinigten Träumen an finstere, unvorstellbare Orte geführt, von denen die schwarze Wüste nur einer war. Was würde es jetzt für mich bereithalten?
Welcher Schrecken lauerte im Dunkeln, in diesem nach Staub, Moder, totem Getier und Rauch stinkenden Kerker, als der mir der Raum plötzlich erschien?
Mein erster Eindruck, als der Lichtschein die Kammer erhellte und jagende, groteske Schatten, die mich an zischende, sich im Lampenschein windende Dämonen erinnerten, in die Ecken vertrieb, war tatsächlich Enttäuschung. Und das trotz einer fast lähmenden, eiskalten Furcht, die sich meiner bemächtigt und mir die abscheulichsten Szenarien vorgegaukelt hatte.
Die Kammer war nicht vollkommen leer, wie ich angenommen hatte. Ein dichter Schleier aus steinaltem Staub und grauem Spinngewebe drohte den Raum unter sich zu ersticken. Die Holzplanken, aus denen der Verschlag einst errichtet worden war, wirkten verhärtet und waren mit einer dicken Schicht aus Schlacke und etwas, das mich an weißen, flaumigen Schwamm erinnerte, überzogen.
Auf dem Boden, der aus gestampfter Erde zu bestehen schien, türmte sich Unrat und Dreck, der in kleinen Haufen in den Ecken der Kammer lag. Dazwischen konnte ich zerborstene Holzbretter und unregelmäßige, tiefe Schleifspuren erkennen, als hätte man hier vor langer Zeit etwas entlang gezogen. Vielleicht mochten sie auch von etwas Schwerem stammen, das sich über die lose Erde bewegt hatte …
In der Mitte der Kammer stand ein alter, aus Holz gefertigter Tisch, der brüchig und wurmstichig wirkte. Ein
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