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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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und strich über das verschmorte und zerrissene Leder, in welches das Buch einst eingebunden war. Es wirkte brüchig und drohte unter meinen Fingern zu zerfallen. Deshalb stellte ich die Lampe neben das Buch und hob den Folianten vorsichtig mit beiden Händen hoch, um nichts zu zerstören. Dabei durchströmte mich das überwältigende und fürchterliche Gefühl, etwas in Händen zu halten, das mein gesamtes Leben, so wie ich es kannte und liebte, imstande war zu verändern.
    Während ich das Buch hielt, hatte ich das absurde Gefühl mich selbst dabei beobachten zu können, wie ich, trancegleich, den Gegenstand in Händen trug, als sei er das wertvollste, das es auf dieser Welt geben konnte. Ich schalt mich einen Narren und mahnte mich zur Achtsamkeit. Fast wollte ich mir selbst zurufen, das Buch zurück in den Staub und den Ruß fallen zu lassen und eiligen Schrittes aus dieser Kammer zu fliehen, so wie es die Person einst tat, die in ihrer Hast den Stuhl umgestoßen und achtlos auf der Erde hatte liegen lassen. Hätte ich mich in diesem Moment selbst packen und mit aller Kraft zurück in die Küche zerren können, ich hätte es zweifelsohne getan.
    Wie sehr wünschte ich mir, ich besäße noch die Kontrolle über diesen Körper, der vor der verkohlten, geheimnisvollen und unerklärlichen Türe kniete und ein ebenfalls verbranntes Buch in Händen hielt, das einst in kostbares Leder gebunden war und womöglich Dinge enthielt, die für den geschundenen und labilen Verstand dieser Person nicht geeignet schienen. Wie sehr wünschte ich mir dies …
    Doch als ich den Verschlag betreten hatte, war etwas mit mir geschehen, das es mir unmöglich machte, weiterhin mit meinem Verstand auf meine Handlungsweise einzugreifen.
    Dort an der Schwelle hatte ich den alten, wohlbekannten Adam Wilkes zurückgelassen, und mein Verstand war in eine Welt getreten, die das beschauliche und geruhsame Leben, das ich in London zu führen pflegte, wohl auf ewig unerreichbar für mich machen würde.
    Auf eine seltsam ruhige Weise begriff ich, dass ich nach dieser Nacht mit jenem Adam Wilkes, dessen Hülle sich irgendwo unsichtbar in der Küche des alten Hauses befand, nicht mehr viel gemein haben würde. Wahrscheinlich würde ich den Adam Wilkes, der mit dem Stemmeisen die Tür zur verbotenen Kammer aufgebrochen hatte, nicht einmal mehr erkennen. Oder umgekehrt …?
    Während meine Gedanken schneller rasten, als sie mein menschlicher Verstand zu fassen imstande war, trug ich das alte, verkohlte Buch zu dem kleinen Tisch und legte es behutsam ab. Dann ging ich zur Tür zurück, nahm die Laterne und stellte sie neben das verrostete Skelett jener alten Leuchte, die mein Vorfahre benutzt haben mochte. Der Stuhl wirkte leicht und brüchig, und ich bezweifelte, dass er nach all den Jahren mein Gewicht tragen konnte. Doch er tat es, auch wenn das Holz dumpf knirschte, als ich mich niederließ.
    Bedächtig ließ ich meinen Blick über den Folianten schweifen. Das Leder, das einst eine edle, dunkelbraune Farbe getragen hatte, war nun schwarz und von der Hitze des Feuers gewellt. An den Rändern war der Einband eingerissen, als hätte rohe Kraft versucht ihn in Stücke zu reißen. Als meine Finger behutsam das Leder betasteten, glaubte ich immer noch die Wärme zu spüren, die sich vergeblich um die Vernichtung des Buches bemüht hatte. Wer mochte ein Ansinnen besessen haben, diese Seiten den Flammen zu übergeben? Und welche Geister mochten einen Menschen – meinen Großvater Henry Wilkes? – zu einer solch schändlichen Tat getrieben haben?
    Ich hegte große Achtung gegenüber jedweder Bücher, verschlang ich doch nur allzu gerne die abenteuerlichen Geschichten von Verne oder die düsteren Darstellungen von Poe und Lovecraft. Umso erbärmlicher erschien mir die Tat, einen derart kostbar erscheinenden Folianten der Hitze des Feuers darzubieten. Doch selbst die größte Narretei im Leben erfolgte nicht grundlos. Und wollte ich mehr über die Beweggründe erfahren, war es nötig, dass ich einen Blick auf das Geschriebene riskierte. So sehr sich auch alles in mir dagegen sträubte.
    Als ich das Buch öffnete, nicht ohne die Befürchtung, die Seiten könnten unter meiner Berührung zu Staub und Asche zerfallen, knirschte das Leder des Einbandes wie das Stöhnen eines gepeinigten Tieres.
    Zu meiner Enttäuschung musste ich feststellen, dass viele der Seiten verbrannt oder herausgerissen waren. Andere wiederum waren bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt und

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