Diabolos (German Edition)
Gegend verirren sich keine Touristenmassen. Nur so verrückte Kultur Freaks wie wir.« Diesmal konnte er ein kleines Lächeln nicht verhindern. Ein Satz seiner Frau ging ihm nicht aus dem Kopf: ›Nachher ist man immer schlauer.‹ Oh, wie recht sie doch damit hatte. Auch sie musste längst eingesehen haben, wie hoffnungslos diese Flucht in den Urlaub verlaufen war. ER hatte es schließlich von Anfang an gewusst.
»Du lachst?«, schrie sie ihn nun an. »Du lachst? Du findest die ganze Sache wohl noch lustig, oder was? Ein TOLLER Spaß! Es bereitet dir offenbar wieder mal ein höllisches Vergnügen, mich in Angst und Schrecken zu versetzen.«
Auch wenn Heather damit nicht ganz Unrecht hatte (ja, es machte ihm zuweilen Spaß, sie aus der Reserve zu locken; aber nur, um zu sehen, ob sie ihn überhaupt noch wahrnahm), hob er nun doch beschwichtigend den Arm. Das Lächeln war jetzt selbst aus seiner Stimme verschwunden.
»Nun aber mal halblang; seit sechs Tagen fahren wir nun schon über jede nur erdenkliche Straße der Insel, von der Autobahn bis hin zum unbefestigten Eselspfad, und was ist passiert? Nichts! Außer, dass uns hinter Agia Galini ein dummes Schaf beinahe den Kühler verbeult hätte. Wozu also das ganze Theater? Und außerdem habe ich dir mehr als einmal angeboten, selbst den Wagen zu fahren. Aber du wolltest ja nicht. Wenn du dich so sehr an deine Automatikschaltung gewöhnt hast, ist das dein Problem.«
»Jaa, jaa, jaaa«, stöhnte sie genervt. »Dir fällt auf alles immer eine passende Antwort ein.«
Demonstrativ drehte sie sich zur Seite und starrte apathisch auf die vorbeiziehende Landschaft. Karge, unbewachsene Hügel und Berge wechselten sich mit teilweise tiefen Schluchten und weiten Niederungen ab. Nur ganz vereinzelt reckten sich Zypressen oder Aleppo Kiefern wie warnende Zeigefinger in den wolkenlosen Himmel. Das, was Heather an Kreta vor allem erstaunt hatte, waren die vielen Berge gewesen. Einige von ihnen waren weit über 2000 Meter hoch. In der touristenarmen Winterzeit gab es dort sogar die Möglichkeit zum Skifahren. Skifahren auf einer Ägäis Insel! Diese Kombination erschien ihr ähnlich abstrus, wie Alaska unter Palmen. Und dann der Wind. Manchmal war ihr, als käme er aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig. Doch ob er nun ein heißer Wüstenwind oder ein kühler Nordwind von den Balkangebirgen her war, stets machte er die Sonnenglut zumindest etwas erträglicher. Aber er verlor nie an Kraft. Stunde um Stunde rauschte er über das Land hinweg und trocknete die ohnehin schon wasserarme Vegetation noch weiter aus. Anfangs hatte sie den Wind begrüßt, nun verfluchte sie ihn. Seine permanente Präsenz strapazierte ihre Nerven bis zum Zerreißen, wie eine perfide Variante der chinesischen Wasserfolter. Aber in Wahrheit waren es nicht die sonnenverbrannte Steppe und nicht der Wind, die sie bedrückten. Es war diese ohnmächtige, hilflose, diese so beängstigende, undurchdringbar scheinende Stille zwischen Brandon und ihr. Eine Stille, die sie auch dann noch vernahm, wenn sie miteinander redeten. Doch was für Gespräche führten sie schon: Wenn sie sich nicht direkt anfeindeten, unterhielten sie sich über das nächste Hotel, das Essen, die Route für den kommenden Tag oder den Besuch kulturell oder landschaftlich interessanter Orte. Über ihre Beziehung oder ihre Gefühle füreinander schwiegen sie sich dagegen beharrlich aus.
Der Wagen überholte eine alte Bäuerin, die von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff gehüllt war. Die Frau saß seitlich auf einem müde dahintrabenden Maultier, das zudem noch ein Gewirr aus gebündeltem Feuerholz trug. Ein lebendes Postkartenmotiv, wie man es unendlich oft vervielfältigt in jedem Touristenort finden konnte. Heather schenkte dem Gespann keine Beachtung. Vor ihren Augen verschwammen die einzelnen Formen zu einem einheitlichen, trostlosen Braun.
War es das? , fragte sie sich resigniert. Das Ende? War diese Inselrundfahrt vielleicht die abstruse Umkehrung ihrer Flitterwochen? Eine Art ‚bitterer Honigmond’, ein ‚Mandelmond’?
Ihr wurde mit einem Mal bewusst, warum sie begonnen hatte, die spröde Natur Kretas zu hassen. Die grünbraune Einöde, die nun schon seit einer Woche unaufhörlich an ihr vorbeizog, war nichts anderes als das Spiegelbild ihrer Ehe. Und genau das wollte sie nicht sehen. Müde schloss sie die Augen, doch nichts veränderte sich. Weder die Landschaft, noch die Stille. Sie waren an diesem Morgen von Sitia im Nordosten
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