Diabolos (German Edition)
Meilen westlich von London, eingebettet in einen grauen Gürtel aus hoch aufragendem Felsengebirge, das unwirtlich und bedrohlich anmutete und Arc´s Hill wie eine feiste Mutter in ihrem steinernen Schoß zu nähren schien. Der Berg wirkte düster, einem drohenden, stummen Schatten gleich, der sich in den tiefhängenden Wolken verlor und wie der Fuß eines gigantischen Riesen erschien, der auf die Erde stieß. Nur vereinzelt waren dürre Bäume zu erkennen, die jedoch ebenso abgestorben und ausdruckslos wirkten wie das Gestein.
Eine einzige Straße führte in den Ort. Zwischen Durham, jener letzten Bastion der Zivilisation, und diesem düsteren Arc´s Hill, das sich mir nun in all seiner Bedrohlichkeit darbot, hatte sich der Weg durch einen stillen Wald geschlängelt. Zeitweise hatte ich den Eindruck, der Wald würde nie ein Ende nehmen und sich weigern, einen Landstrich wie Arc´s Hill dem Tageslicht preiszugeben.
Ich hielt den Wagen am Straßenrand an, als ich die letzten schützenden Bäume hinter mir gelassen hatte, und stellte den Motor ab. Augenblicklich war ich von einer fast greifbaren, erstickenden Stille umgeben.
Vor mir erstreckte sich das Grau der Straße aus grobschlächtigen Pflastersteinen, wie man sie zur Jahrhundertwende noch in ganz England hatte antreffen können. Die groben Steine schimmerten im trüben Tageslicht seltsam schmutzig und schlängelten sich wie ein Gebrechen an den ersten schiefen Häusern von Arc´s Hill vorbei durch den Ort.
Sofort fielen mir Marks aufgeregte Worte und begeisterte Gebärden ein, als er mir vor einer Woche von seiner Entdeckung berichtet hatte. Ich kenne Mark seit über zwanzig Jahren, und seit acht Jahren arbeiten wir zusammen. Daher weiß ich, zu welcher Begeisterung er fähig sein kann, wenn es sich um alte Legenden und unheimliche Mären handelt.
Ich hatte seinen Schilderungen die gleiche Skepsis entgegengebracht wie all jenen phantastischen Geschichten, die mir Mark oder jeder andere im Laufe der Jahre zugetragen hatte, obwohl ich seinen Worten nur allzu gerne den erwünschten Glauben und nötigen Respekt geschenkt hätte. Aber mein Job war die Skepsis. Nicht zuletzt deshalb, um nicht blind in ein Abenteuer zu laufen, aus dem ich voller Enttäuschungen wieder entlassen werden würde. Ein Umstand, der in den letzten Jahren nicht selten vorgekommen ist.
Im Zuge vieler Misserfolge und Rückschläge hatte ich es mir zu Eigen gemacht, meine Begeisterung – die innerlich zweifelsohne vorhanden war – zu zügeln und einer gesunden Portion Misstrauen die Oberhand zu gewähren und mich von ihr auf meinen Reisen leiten zu lassen. So versuchte ich die Gefahr einer eventuellen Ernüchterung und dem bei mir damit verbundenen psychischen Sturz in tiefe Zweifel von vornherein in Grenzen zu halten.
Jetzt allerdings, da ich an der Schwelle zu jenem verwunschenen Ort am Fuße der dunklen Berge stand, von dem mir Mark vor wenigen Tagen berichtet hatte, wusste ich auf Anhieb, dass mein Freund und Mitarbeiter diesmal den richtigen Riecher bewiesen hatte. Dennoch … ich versuchte weiterhin meine Zweifel zu nähren … so schwer es mir auch fallen mochte.
Als ich den Wagen langsam durch den Ort rollen ließ, fühlte ich mich als Eindringling in einer fremden, ungastlichen Welt. Niedrige Backsteinbauten, dem Zerfall durch unermessliches Alter und lange Regenperioden dargeboten, duckten sich windschief und düster unter einer tristen, grauen Wolkendecke, die einem beschwerlichen Tuch gleich über den Gassen und Häusern lastete. Viele der Behausungen wirkten verlassen, die Fenster blind und schwarz, die Dächer aus Schindeln oder Holz marode. Und doch spürte ich deutlich die Blicke der Bewohner auf meiner Haut, die mich aus der Geborgenheit ihrer seltsamen Heimstätten heraus beobachteten. Auf den Straßen und Plätzen selbst waren nur wenige Menschen anzutreffen. So etwa ein alter Mann, der schwerfällig auf einem schwarzen Stock gestützt vor dem Auslagenfenster einer dunklen Bäckerei stand und mir mit argwöhnischem, feindseligem Blick nachsah. Oder zwei Jungen von etwa fünfzehn Jahren, die auf der alten Steinmauer einer kleinen Parkanlage saßen und mich mit ebenso ernstem und übelgesinntem Blick unverhohlen betrachteten. Bei ihrem Anblick hatte ich das Gefühl, das Tor in ein lange vergessenes Jahrhundert aufzustoßen.
In einer dunklen Gasse, die geduckt zwischen zwei zerfallenen, sich gegenseitig zuneigenden Häusergiebeln kauerte, glaubte ich die Gestalt einer
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