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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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hatte, auf, seine Pflicht zu tun.
    Der Mann packte den dürren Arm des Weibes und riss und zerrte ohne den Anstand und Respekt, zu dem sein Berufsstand in der Verpflichtung stand, an den mittlerweile grau und schwarz gewordenen Stofflappen, mit denen Keezas Wunden verdeckt worden waren.
    Währenddessen hielt die Meute ringsum den Atem an.
    Die Alte wand sich wie eine leichte Strohpuppe im Griff des Doktors, ihr langes Haar flog wirr im Nachtwind und bedeckte ihr abgezehrtes Antlitz. Doch kein Laut kam über ihre Lippen.
    Schließlich riss der brüchige, alte Stoff. Der Bader ergriff den hageren Arm des Weibes, begutachtete ihn mit einem leisen Aufschrei und riss ihn dann in die Höhe, der bleichen Scheibe des Vollmondes entgegen, damit ein jeder im Dorf Zeuge dessen werden konnte, was sich jede Seele in Arc´s Hill hinter vorgehaltener Hand erhofft hatte.
    Der Arm Keezas schimmerte grau, fast schwarz, im fahlen Mondschein. Grässliche, nässende Male und Schwären hatten sich gebildet.
    Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen. Einige der Männer brummten barsche Verwünschungen, während die Weiber des Dorfes entsetzte, kurzatmige Schreie ausstießen, als würde der Anblick von Keezas verunstaltetem Arm sie in ihrer gläubigen Seele verletzen. Erste Rufe wurden laut. Wüste Beschimpfungen machten die Runde.
    Der Beweis war erbracht, denn nur der Arm einer Hexe würde sich selbst nach der Behandlung eines Doktors mit Medizin und Balsam in einem derart grässlichen und abstoßenden Zustand darstellen. Die Wasserprobe, das uralte Ritual zur Hexenüberführung, hatte den einfältigen Bewohnern von Arc´s Hill Gewissheit beschert. Wie sonst sollte man sich das spurlose Verschwinden der Kinder erklären?
    Noch in derselben Nacht, während das verstörte Weib Keeza auf der Erde lag und wimmernd ihren verunstalteten und blutenden Arm unter ihrer Schürze zu verbergen suchte, wurde um einen alten Holzpfahl ein Haufen aus welkem Stroh, Holz, Lumpen und allem möglichen Plunder, den ein jeder mit Freuden aus seinem Haus zum Marktplatz trug, errichtet.
    Binnen weniger hektischer Minuten, unter dem wütenden Grummeln der Männer und dem hasserfüllten Keifen der Weiber, wurde die alte Keeza an den Pfahl gebunden. Ihre Augen verband man mit einem Tuch. Dann, ohne jegliche Zeremonie und ohne letzte Worte, warfen die Männer ihre Fackeln auf den Scheiterhaufen.
    Schnell fraß sich das Feuer durch das morsche Holz und die alten Lumpen. Und ebenso schnell erfassten die Flammen die Schürze der alten Keeza und fanden die Nahrung, die für sie bestimmt war. Das war der Augenblick, in dem Keeza zu schreien begann. Unmenschliches, tierisches Lärmen, das schauerlich von den düsteren Bergen zurückgeworfen wurde.
    Die Bewohner von Arc´s Hill jedoch, die dem scheußlichen Spektakel beiwohnten, wurden still und betrachteten mit ausdruckslosen Augen den brennenden, dampfenden und zuckenden Leib des alten Weibes. Niemand von ihnen verlor jemals ein Wort über jene Nacht, in der die archaischen Zeiten in ihre Hütten und Häuser zurückgekehrt waren.

    Die Worte der Aufzeichnungen meines Freundes ließen düstere Bilder vor meinen Augen entstehen. Ein altes Dorf, eingebettet in den steinigen Schoß eines stillen, schwarzen Berges; degenerierte, einfältige Menschen mit vor Hass glühenden Augen und dem Hohn der Selbstzufriedenheit auf ihren Gesichtszügen; dazu der brennende, geschändete Leichnam der alten Keeza, die schließlich am Pfahl zusammensackte und in der verzehrenden Brunst aufging und als schillernder Funkenflug in den Himmel auffuhr.
    Die düsteren und makabren Szenerien erzeugten einen kalten, abstoßenden Schauer, der sich meines Körpers bemächtigte. Meine Hände, die die Aufzeichnungen hielten, zitterten und ließen das Papier rascheln. Es wollte mir nicht gelingen, den geschriebenen Worten ihre ursprüngliche Form zurückzugeben. Immerfort sah ich diese grässlichen und entarteten Bilder aus jener Nacht vor ungezählten Jahren, als man eine alte Frau dem Zorn des Feuers übergab, um sein Gewissen zu erleichtern und seine Gier nach Blut und Tod zu stillen. In welch pervertierten Winkel unserer Welt war ich nur geraten?
    Eine Bewegung zu meiner Linken ließ mich zusammenfahren. Ich erwartete Rufus Paxton, der mir mein Abendessen brachte. Stattdessen blickte ich in das Gesicht einer alten Dame, die sich an den Tisch neben mir setzte.
    Sie besaß den Anmut einer stolzen Frau, den ich in dieser kleinen Stadt als letztes

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